Rundbrief Sommer 2025: #NoEscape

Der Wadi-Sommerrundbrief ist aus dem Druck gekommen. Sie können ihn hier herunterladen. In ihm informieren wir über die Lage der Jesiden elf Jahre nach dem Völkermord, die Schwierigkeiten, vor denen Syrien nach dem Sturz Assads steht und den Fortgang unserer Citizenship-Kampagne in schwierigen Zeiten.

 

 
Aus der Einleitung:

Liebe Spenderinnen und Spender,

liebe Freundinnen und Freunde,

es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ich vergangenes Jahr die Einleitung zu unserem Sommerrundbrief aus einem Park in Suleymaniah schrieb und darin unter anderem feststellte, dass viel zu früh die unerträgliche Hitze eingezogen sei. Es gab Zeiten, da versuchte man zu erklären, was es für Menschen heißt, unter solchen Temperaturen leben zu müssen. Nun, inzwischen kletterte das Thermometer auch im Rhein-Main-Gebiet auf annähernd 40 Grad und es bedarf keiner solchen Erklärungen mehr. Jede und jeder muss nun am eigenen Leib erleben, was solche Hitze bedeutet.

Wir erleben hautnah, dass der Klimawandel vor nationalen Grenzen keinen Halt macht, und diese alte Idee, dass es so etwas wie eine Menschheit gibt, die sich eben diesen Planeten irgendwie zu teilen hat und entweder eine Zukunft gemeinsam oder keine hat, stellt sich mit neuer Dringlichkeit – auch wenn sie gerade nicht einmal mehr in Sonntagsreden sonderlich populär ist. Zwar leiden die Menschen in Südostasien, dem Nahen Osten und großen Teilen Afrikas derzeit ungleich stärker unter den Folgen des Klimawandels als die Happy Few in den Industrienationen des Nordens, doch langsam wird auch diesen klar, dass auf Dauer die Lebensgrundlagen aller gefährdet sind. Wenn es so weitergeht, wird letztlich niemand ungeschoren davonkommen.

Umso wichtiger wäre es daher – nicht nur, wenn es ums Klima geht -, diese Idee von Menschheit wieder stark zu machen, statt zu glauben, man könne sich auf Dauer erfolgreich abschotten, indem man Grenzen schließt und große Teile eben dieser Menschheit dem Elend überlässt. Leider aber steht genau dies gerade auf der Tagesordnung, und so trifft es am Ende mal wieder die am härtesten, die dringend auf Schutz und Unterstützung angewiesen wären.

Im Rahmen ihrer „Asyl- und Migrationswende“ stoppte die neue große Koalition gerade im Bundestag den, wie es im Fachjargon heißt, „Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte“. Genauer gesagt hatte bereits die Vorgängerregierung eine Obergrenze von jährlich maximal 12.000 Menschen verordnet. Unter „subsidiär Schutzberechtigte“ fallen in Deutschland auch geschätzt 30.000 Jesidinnen und Jesiden, die als Überlebende des vom „Islamischen Staat“ (IS) 2014 verübten Genozids in Deutschland um Asyl baten. Individuelle Verfolgung lag in der Regel nicht vor – dem IS ging es schließlich darum, die Jesiden als Kollektiv zu vernichten (das ist das Wesen eines Genozids). Da deshalb zuständige Bundesbehörden und Gerichte bis Ende 2017 Jesiden eine Gruppenverfolgung attestierten, bekamen diese in Deutschland einen Schutzstatus als so genannte subsidiär Schutzberechtigte. Dieser kann regelmäßig überprüft werden und ist weniger „stark“ als eine Anerkennung nach § 16a des deutschen Grundgesetzes. (….)

Nach dem überraschenden Sturz der furchtbaren Assad-Diktatur durch Milizen der islamistischen HTS waren viele Syrerinnen und Syrer, die das Ende dieses Regimes überall feierten, nicht nur konfrontiert mit all dem Horror, der sich ihnen zeigte, als sich die Türen der berüchtigten Foltergefängnisse öffneten. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten gab es auch Freiräume, sich zu organisieren, und die Menschen nutzten das ausgiebig. In Damaskus gründete sich vor einiger Zeit die „Syrian Equal Citizenship Alliance“ eine Plattform aus verschiedenen zivilgesellschaftlichen Gruppen, kleineren Parteien und anderen Akteuren. „Die Religion gehört Gott und die Heimat gehört allen“ ist einer ihrer Slogans. Seit Jahren schon stehen wir mit unterschiedlichen Partnern aus der syrischen Opposition in Kontakt, haben unter anderem das Projekt „Vom Untertan zum Bürger“ mit ihnen durchgeführt und sind nun froh, das im Irak gesammelte Wissen und Know How erneut in Syrien nutzbar machen zu können. So haben Wadi-Mitarbeiter/innen im Januar eine Reise nach Syrien unternommen und sich dort mit Partnern ausgetauscht. Nun arbeiten wir daran, das Active Citizenship Konzept auch dort umzusetzen. Die syrische Gesellschaft steht vor schier unbewältigbaren Herausforderungen, das Land ist weitgehend zerstört, Infrastruktur liegt am Boden, 80% der Menschen leben unter dem Existenzminimum. Dazu kommen all die politischen und sozialen Spannungen sowie das tiefe Misstrauen vieler Menschen, darunter auch unserer Partner, ob die neue Regierung ihre Versprechen einhält oder das Land doch schleichend in einen islamischen Staat verwandeln will.

Wir jedenfalls werden, wie wir das im Irak seit nunmehr fast 35 Jahren tun, im Rahmen unserer Möglichkeiten versuchen, Initiativen und Projekte zu unterstützen, die Entwicklung und Citizenship miteinander verbinden.

Ebenso führen wir unsere Kampagnen gegen Gewalt und Genitalverstümmelung und für Umwelt- und Klimaschutz gemeinsam mit unseren Partnern vor Ort im Irak fort – auch wenn sich angesichts der allgemeinen Entwicklung vieles noch einmal schwerer gestaltet, denn der Wegfall amerikanischer Hilfsgelder macht sich überall bemerkbar. Natürlich verändern sich dadurch auch Prioritäten: Wo Menschen akut von Hunger, Krankheit oder dem Verlust ihrer Wohnungen bedroht sind, muss geholfen werden. Da Geld knapp ist, geht dies auf Kosten all jener Projekte und Programme, die wie unsere nicht auf Nothilfe, sondern langfristige Entwicklung und Veränderung zielen.

Umso wichtiger ist es uns, dass Sie unsere Partner und unsere Projekte weiter solidarisch begleiten und mit Ihrer Spende deren Fortgang ermöglichen.

 In diesem Sinne wünsche ich Ihnen im Namen von uns allen einen schönen Sommer.

Thomas von der Osten-Sacken, Geschäftsführung