Wadi setzt sich seit der Gründung für die Rechte von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen ein. Dabei stehen Zusammenarbeit mit den Betroffenen und Förderung von Selbstorganisation im Vordergrund.
UN-Hilfswerke und andere große internationale Hilfsorganisationen sind in der Lage, innerhalb kürzester Zeit große Lager für Zehn- oder gar Hunderttausende von Menschen zu errichten und die Notversorgung sicherzustellen. Diese logistischen Kapazitäten und Management-Fähigkeiten sind in großen Krisen und Konflikten unabdingbar, um Leben zu retten.
Leider wird die prekäre Existenz in den Lagern allzu oft zum Dauerzustand, weil die Fluchtgründe immer weiter fortbestehen. Die Menschen haben oft Schreckliches erlebt, Angehörige verloren, Gewalt erfahren. Die monotone Existenz über Jahre in Zelten und Notbehausungen, zwischen Maschendraht und WC-Containern, ohne Aussicht auf ein selbstbestimmteres Leben in Freiheit, treibt manche in die Verzweiflung.
Doch vertrauenswürdige Ansprechpartner für seelisches Leid gibt es in den Lagern kaum. Hier helfen die Sozialarbeiterinnen von Wadi und lokalen Partnern wie Jinda oder NWE. Sie genießen das Vertrauen der Menschen, weil sie dauerhaft präsent sind, Kontakte in die Communities pflegen und seit Jahren unbürokratisch Hilfe leisten. Sie werden nicht als Vertreterinnen des großen, anonymen Apparats (UN, Regierung, etc.) wahrgenommen, daher gelingt es ihnen viel besser, auf die Menschen zuzugehen und beispielsweise psychosoziale Hilfe zu leisten, Gewaltprävention zu betreiben oder den Sinn von Impfungen zu erklären.
Flüchtlinge wissen meist selbst am besten, was sie brauchen und wie man etwa bestimmte Abläufe verbessern könnte, doch sie werden fast nie gefragt, nie eingebunden. Wadis Teams sprechen mit den Betroffenen und stimmen sich ab, bevor sie irgendetwas organisieren oder anbieten.
Die beste Hilfe ist aber oft die Selbsthilfe. Menschen, die sich in den Lagern meist zur Untätigkeit verdammt fühlen, blühen geradezu auf, wenn sie irgendwo Möglichkeiten sehen, aktiv zu werden und zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen beizutragen. Zudem werden Rat und Hilfe am besten angenommen, wenn sie aus der eigenen Community stammen. Es ist eine win-win-Situation, die vielen fleißigen Helfer*innen von externen Organisationen, wo immer es geht, durch Flüchtlinge arbeitslos zu machen. Erfahrungen in Griechenland haben uns gezeigt, dass Flüchtlinge sich mit etwas Unterstützung von außen sehr gut selbst helfen und verwalten könn(t)en. Diese Unterstützung von Selbstorganisation organisieren und leisten wir wo immer möglich.
Wadis Hilfe zur Selbsthilfe entspringt der Überzeugung, dass die Menschenwürde der Flüchtlinge respektiert werden muss und vor allem, dass Flüchtlinge Rechte haben. Um auf dem unter anderem in der Genfer Konvention verbrieften Rechtsstatus zu beharren, sprechen wir daher bewusst nicht von „Geflüchteten“, „Migranten“ oder gar „people on the move“, die de jure nur auf unser Mitleid hoffen dürften. Der neue Jargon reflektiert die leider zunehmend systematische Missachtung von Flüchtlingsrechten durch die EU und die Mitgliedsländer ganz unkritisch.
Wadi unterstützt seit 30 Jahren Flüchtlinge im Irak, in Griechenland, in der Türkei und in Deutschland. In der Türkei hat Wadi Nichtregierungsorganisationen bei der Unterstützung von Flüchtlingen beraten. In Deutschland hat Wadi Untersuchungen durchgeführt, Konferenzen veranstaltet, Beratung angeboten und ein umfangreiches Projekt umgesetzt, das neu angekommenen Flüchtlinge dabei hilft, in das gesellschaftliche Leben hineinzufinden und aktiv mitzugestalten. In Griechenland hat Wadi NGOs in Athen und auf Lesbos beraten und unterstützt.
Aktuelle Projekte
Projekte mit und für Jesid:innen im Irak
Im September 2014 begann WADI mit der Bereitstellung von Nothilfe und psychologischer Unterstützung für Hunderte von Frauen und Mädchen, die aus der Sklavenhaltung des sogenannten „Islamischen Staates“ geflohen sind. Bis heute hat Wadi 20.529 Frauen und junge Mädchen unterstützt. Hunderte von Fällen sexueller Sklaverei durch den „IS“ wurden dokumentiert und den internationalen Medien gemeldet, damit diese Verbrechen international anerkannt werden. Nach Gesprächen mit jesidischen Gemeindemitgliedern und Soforthilfemaßnahmen eröffnete Wadi im Juli 2015 das Jinda-Zentrum als langfristige Antwort auf die überwältigenden Bedürfnisse von Frauen und Mädchen, die aus der Gefangenschaft von Daesh (ISIS) geflohen oder gerettet worden waren. Die mobilen Teams von Wadi werden von zwei jesidischen Frauen (Sozialarbeiterinnen) geleitet und stellen den ersten Kontakt her. Sie entscheiden, welche Fälle sofortige medizinische oder psychologische Hilfe benötigen, die sie dann koordinieren. Wenn sie in der Region Dohuk ankommen, brauchen diese Frauen und Mädchen dringend Hilfe.



Obwohl wir ihre Erlebnisse nicht aufbauschen wollen, ist es wichtig zu verstehen, dass viele (wenn nicht sogar die meisten) extreme Gewalt, Folter, Schläge, Zwangskonvertierung zum Islam, sexuelle Gewalt, Gefangenschaft und den Verkauf als Sklaven erlitten haben. Viele haben miterlebt, wie ganze Familienzweige getötet wurden, andere haben ihre Ehemänner und Brüder verloren, und ihre männlichen Kinder wurden ihnen gewaltsam weggenommen. Nach ihrer Rückkehr befinden sie sich in einem zerbrechlichen mentalen und emotionalen Zustand. Viele fühlen sich im Zwiespalt, weil sie es „geschafft“ haben, während andere noch immer gefangen gehalten werden.

Jinda im Netz: https://jinda-organization.com/
Unsere Teams sind Experten, die mit Professionalität, Freundlichkeit und Diskretion arbeiten und in den Flüchtlingslagern und in der Region allgemein sehr beliebt sind. Das Zentrum knüpft an die Arbeit der Mobilen Teams an, indem es einen einladenden und angenehmen Raum (nur für Frauen) bietet, in dem den Gruppen eine eingehende Beratung, berufliche Kurse wie Basteln, Stricken und Nähen, landwirtschaftliche Fertigkeiten, soziale Aktivitäten und vor allem ein geschützter Raum geboten werden, in dem sie ihre Erfahrungen ohne Verurteilung teilen können.
Ein Gespräch mit Suzn Fahmi, Projektkoordinator des Jinda Centers in Dohuk
Im Kurdischen bedeutet „Jinda“ neue Hoffnung, und genau dafür steht das Zentrum: ein Ort, an dem Frauen wieder Kraft und Hoffnung schöpfen und ein neues Kapitel in ihrem Leben beginnen können. Ein Ort, an dem die Frauen etwas von der Handlungsfähigkeit wiedererlangen können, die ihnen genommen wurde. Mit den Kenntnissen, die sie in den verschiedenen Berufsausbildungen erwerben, sollen sie in die Lage versetzt werden, sich selbst und ihre Familien finanziell zu versorgen und stolz auf ihre Leistungen zu sein.
Dieses Projekt hat die Aufmerksamkeit der internationalen und lokalen Medien auf sich gezogen.
Das Jinda-Zentrum ist nun eine unabhängige NRO, die im Rahmen der langjährigen WADI-Strategie „vom Projekt zum Partner“ lokale Akteure unterstützt, die dann ein integraler Bestandteil unseres Netzwerks bleiben.
Außerdem wurde Wadi für diese Arbeit vom geistlichen Oberhaut der Jesiden geehrt:
Derzeit unterstützen die mobilen Teams in Duhok weiterhin die jesidische Gemeinschaft, indem sie je nach Bedarf helfen und in den Flüchtlingslagern in der Region Dohuk im Rahmen unserer ‚Citizens to Citizens Corona Campaign‘ über das Coronavirus aufklären.
Die Mitarbeiter wurden von UNICEF, Salt Foundation, Heartland Alliance, UNESCO und der Jiyan Foundation für die Arbeit mit traumatisierten Opfern von Gewalt, insbesondere sexueller Gewalt, geschult.
Bildung in Lagern – UNESCO-Projekt für syrische Flüchtlinge:
Seit 2017 unterstützt WADI syrische Flüchtlinge in Irakisch-Kurdistan mit einer Vielzahl von Projekten, die auf ihre vielfältigen Bedürfnisse eingehen. Die anhaltenden Konflikte in der Region haben zu anhaltenden Wellen von Vertriebenen aus Syrien und dem Südirak geführt, die im Nordirak Zuflucht suchen. Diese Vertreibung und alle damit verbundenen Probleme haben dazu geführt, dass Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 17 Jahren am stärksten gefährdet sind, ihre Ausbildung nicht zu beginnen oder fortzusetzen.
Durch die enge Zusammenarbeit mit den gefährdeten Kindern und Jugendlichen sowie mit den Lehrern vor Ort und in den Lagern stellte Wadi fest, dass die größten Gefahren für die Bildung bereits beim Eintritt in die Schule bestehen: Sie können sich die grundlegenden Materialien (Bücher, Stifte, Bleistifte) nicht leisten, haben keinen Zugang zum Transport zur Schule und die Lehrer sind nicht ausreichend darin geschult, wie sie mit traumatisierten Kindern in ihren Klassenräumen umgehen sollen. Die Schüler, die bereits zur Schule gehen, leiden unter dem niedrigen Niveau der Lernmittel und der unzureichenden Grundausstattung (Hefte, Stifte, Bücher), was zu schlechten Leistungen und hohen Abbrecherquoten führt.

Das Projekt wird von der UNESCO unterstützt und von der Europäischen Union finanziert. WADI führt das Projekt in Zusammenarbeit mit seiner lokalen Partnerorganisation „Jinda“ durch. Im Jahr 2020 wurden unsere Mitarbeiter:innen für diese Arbeit mit einem Preis des Bildungsministeriums in Arbil ausgezeichnet.
Die derzeitige weltweite Pandemie Covid-19 hat weiterhin weitreichende Folgen für alle Lebensbereiche, auch für die Bildung der Kinder. Dieses Projekt hat sich an die schwierigen Umstände angepasst.
Unterstützung der Selbstorganisation von Flüchtlingen in Lesbos, Griechenland:
Wadi unterstützt seit 2017 Flüchtlinge in Griechenland. Wir arbeiten mit Partner-NGOs zusammen, um nicht-formale Bildung, psychosoziale Unterstützung, wirtschaftliche Möglichkeiten und Instrumente für die Entwicklung der Selbstorganisation von Gemeinschaften anzubieten. In den Jahren 2018 und 2019 setzte Wadi sein Engagement fort, die Kapazitäten von NGOs zu erhöhen, die an ähnlichen Themen mit gemeinsamen Werten arbeiten. Wir haben dies in der Vergangenheit getan, indem wir die technischen Kapazitäten verschiedener NGOs und Projekte unterstützt und ausgebaut haben. Wir entschieden uns für die Zusammenarbeit mit einer lokalen NROs auf Lesbos um Flüchtlingen die Möglichkeit zu geben, ihre Ausbildung zu verbessern und ihre Fähigkeiten auszubauen.
Im Jahr 2020 führte die Covid-19-Pandemie zu einer besonders gefährlichen Situation für Flüchtlinge, die ohnehin schon unter beengten und unhygienischen Bedingungen lebten. Wadi arbeitete mit Flüchtlingen mit medizinischer Ausbildung zusammen, um eine gezielte Kampagne gegen Fehlinformationen über Covid-19 zu entwickeln und die Flüchtlinge in den Lagern auf Lesbos in die Lage zu versetzen, sich vor der Krankheit zu schützen. Diese Kampagne und die Tatsache, dass das Lager von der Gemeinschaft der Freiwilligen abgeschnitten war, löste unter den Flüchtlingen eine positive Welle der Selbstorganisation aus. Wadi stellte diesen Aktivisten technische Kapazitäten zur Verfügung, und nun, mehr als ein Jahr später, haben wir das Moria Corona Awarness Team, die Moria White Helmets, die aktiv daran arbeiten, die Sauberkeit des Lagers zu verbessern, Plastikmüll zu recyceln, elektrische Probleme zu reparieren, erste Hilfe zu leisten und Brände zu bekämpfen, sowie viele Aktivitäten zu koordinieren, für die sie und ihre Gemeinden einen Bedarf sehen.
Radio von Flüchtlingen für Flüchtlinge im Irak
In Halabja betreiben mit Unterstützung von Wadi Flüchtlinge ihr eigenes Radioprogramm. Das Team besteht nur aus Frauen. Es ist ein Pilotprojekt in der Region und wurde 2017 mit dem Raif Badawi Preise ausgezeichnet.
Frühere Projekte
Halabja Summer of Peace: In den Jahren 2016 bis 2018 führte Wadi gemeinsam mit der langjährigen Partnerorganisation NWE in Halabja ein innovatives Projekt durch, um Einheimische, Binnenvertriebene und Flüchtlinge zusammenzubringen, die Beziehungen zwischen den verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen zu verbessern und sich gegenseitig willkommen zu heißen und zu helfen.
Die „Halabja Campaign for Peace and Mutual Living“ konzentrierte sich vor allem auf Fortbildung, um finanzielle Unabhängigkeit zu fördern und Möglichkeiten für Frauen zu schaffen, Produkte oder Dienstleistungen zu verkaufen oder im Tausch anzubieten. Diese Kurse stärken das Selbstwertgefühl der Frauen. Sie werden unabhängiger und selbstbewusster, weil sie nun in der Lage sind, für sich und ihre Familien zu sorgen. Das ist vor allem wichtig angesichts der prekären Verhältnisse und des allgemeinen Mangels an Routine und Kontinuität, mit dem Flüchtlinge und Binnenvertriebene umgehen müssen. Angeboten werden Kurse für: Computerkenntnisse, Nähen, Friseurhandwerk, Alphabetisierung, Englisch, Backen, Kochen, Stricken und weitere Handarbeiten. Es gab Seminare über: Frauenrechte, Prävention Genitalverstümmelung, Gesundheitsvorsorge, Erste Hilfe, Hygiene und Kinderbetreuung. Über das Projekt wurde in vielen lokalen Medien berichtet. Die gewonnenen Erkenntnisse über Wege der Integration und Verständigung zwischen Einheimischen und Flüchtlingen flossen in die darauf folgenden Projekte ein.
Spielbus: Im Februar 2016 startete Wadi das Spielbus-Projekt in Garmyan. Ziel dieses Projekts war es, gefährdeten und benachteiligten Kindern Spiel und Spaß zu ermöglichen und einheimische, geflüchtete und vertriebene Kinder (und ihre Familien) zusammenzubringen, um Vertrauen zwischen den Gemeinschaften aufzubauen und Vorbehalte zwischen Kurden und Arabern abzubauen.
Ein Team aus zwei Sozialarbeiterinnen und einem Fahrer besuchte die Dörfer in Garmyan dreimal pro Woche.
Bis heute hat Wadi Spielbusse im Einsatz. Ein Spielbus ist ein Kleinbus, der mit Spielzeug und Lernspielen ausgestattet ist, die für eine entspannte und sichere Atmosphäre sorgen und Kindern in sehr armen und abgelegenen Regionen besondere Erlebnisse bescheren. Dieses langfristige Projekt wird äußerst gut angenommen und ist auch sehr gut dazu geeignet, Vertrauen in den Gemeinden aufzubauen, das für weiter gehende Hilfs- und Aufklärungsmissionen, etwa zum Thema Frauenrechte oder häusliche Gewalt, extrem hilfreich ist.
Aktivitäten in Syrien: Wadi hat die Ziele der Demonstranten, die für ein freies, pluralistisches und demokratisches Syrien kämpfen, unterstützt und sich mit ihnen solidarisch gezeigt. Dank unserer langjährigen Erfahrung haben wir Beratung und Hilfe bei der Entwicklung verschiedener Projekte geleistet, darunter die Einrichtung eines Gemeinschaftsradios in Darbassiya, Spielbusse für Kinder und mobile medizinische Teams mit der lokalen NRO Zelal. In Ghouta und anderen Vororten von Damaskus, die von Assads Truppen belagert und mit Giftgas angegriffen wurden, beriet Wadi (mit Unterstützung von Green Cross) die Organisation Al-Seeraj, die den Überlebenden der chemischen Angriffe medizinische und soziale Hilfe leistete. Außerdem veröffentlichten Al Seeraj und Wadi ein Dossier über die chemischen Angriffe auf die Ghoutas.