»Active Citizenship«

Zivilgesellschaft, Bürgerschaft und Menschenrechte im Nordirak neu denken:  Wadi unterstützt ein neues Projekt, bei dem lokale Initiativen einen gemeinsamen, interdisziplinären Ansatz verfolgen, um verschiedendsten Herausforderungen wie Umweltzerstörung, geschlechtsspezifischer Gewalt, Gewalt in Schulen, mangelndem Zugang zu Gesundheitsversorgung und fehlendem Wissen über Frauenrechte besser zu begegnen. 

Wir unterstützen die Zusammenarbeit verschiedener Interessengruppen, einschließlich lokaler Organisationen, Bürger/innen, Aktivist/innen und lokaler Communities, um ihre eigenen Wege zur Lösung der vielfältigen Probleme in ihren Gemeinden zu finden. Im Mittelpunkt des Projekts steht das Konzept der „Aktiven Bürgerschaft („Active Citizenship“), das die partizipative Arbeit an der Basis fördert.

Wadi arbeitet seit 30 Jahren eng mit Menschen zusammen, unterstützt sie und erweitert ihr Wissen. Unser Ansatz betont langfristiges Engagement, Organisation an der Basis und bürgerschaftliche Verantwortung, aus der starke, unabhängige Netzwerke hervorgehen. Diese Philosophie bildet auch das Fundament des aktuellen Projekts. Hier geht es darum, verschiedene Akteure – darunter zivilgesellschaftliche Organisationen, Nichtregierungsorganisationen, Medien, Schulen, Universitäten, örtliche Krankenhäuser und staatliche Stellen – zusammenzubringen, um kritische Fragen aus der Perspektive der Bürgerbeteiligung zu beleuchten.

Dieser Ansatz entspricht der langfristigen Vision von Wadi, bei der Teams und Partnerorganisationen mit den Menschen zusammenarbeiten, um die wichtigsten Probleme in ihrer Region zu identifizieren und anzugehen. Aktive Bürgerschaft ist ein zentraler Bestandteil dieses Konzepts, denn die Rolle von Wadi besteht nicht darin, Menschen zu „retten“, sondern sie durch gegenseitigen Respekt, aktives Zuhören und den Austausch unterschiedlicher Perspektiven zu stärken.

„Active Citizenship“, die „aktive Bürgerschaft“, ist ein basisdemokratischer, bürgergeführter und intersektionaler Ansatz.

In diesem zweijährigen Projekt werden innovative Ansätze erforscht, um ein neues Verständnis von aktiver Bürgerschaft zu fördern. Durch partizipatorische Prozesse an der Basis wird es nichtstaatliche und staatliche Akteure sowie verschiedene Interessengruppen zusammenbringen, um sinnvolle Projekte zu entwickeln, die sich mit Schlüsselthemen wie Umwelt, öffentliche Gesundheit, Bildung, geschlechtsspezifische Gewalt (GBV) und Medien befassen.

„Active Citizenship“, die „aktive Bürgerschaft“, ist ein basisdemokratischer, bürgergeführter und intersektionaler Ansatz für Projekte, den Wadi seit Längerem verfolgt. Im Jahr 2024 haben wir diesen Ansatz auf mehrere lokale Partnerorganisationen ausgeweitet. Das Konsulat der Niederlande in Erbil unterstützt dieses Programm über mehrere Jahre.

Das Projekt ist in mehrere Hauptthemen gegliedert, von denen jedes ein oder mehrere Projekte umfasst, die in sich abgeschlossen sein oder sich zu mehrjährigen Kampagnen entwickeln können. Im ersten Jahr liegt der Schwerpunkt auf einer Anfangsphase, in der neue Ansätze mit den Beteiligten erprobt, nicht-hierarchische Kommunikationsstrukturen aufgebaut und ein Rahmen für die Gestaltung von Partnerschaftsprojekten geschaffen werden sollen. Das zweite Jahr wird auf den gewonnenen Erkenntnissen, der Medienresonanz und entstandenen Netzwerken aufbauen, wobei der Schwerpunkt auf der Betonung des intersektionalen Ansatzes der Projektpfeiler liegt. 

Vernetzung zivilgesellschaftlicher Akteure

Wadi wird als Drehscheibe für den Wissensaustausch fungieren und allen Durchführungspartnern Schulungen, technische Unterstützung und Anleitung bieten. Regelmäßige Treffen am runden Tisch“ werden die Vernetzung zwischen den Partnern und zwischen den einzelnen Projektpfeilern erleichtern, den Austausch von Wissen und bewährten Verfahren ermöglichen und gemeinsame Entscheidungen herbeiführen.

Langfristiges Ziel ist es, ein neues Verständnis von aktiver Bürgerschaft zu schaffen, bei dem nichtstaatliche Akteure als Akteure des Wandels agieren.

Dazu müssen wir verschiedene Facetten der Gesellschaft zusammenbringen: zivilgesellschaftliche Organisationen, lokale Gemeinden, Universitätsstudenten, Schulen, Religionsgemeinschaften, verschiedene ethnische Gruppen, Lokaljournalisten, Bürgerjournalisten, Gesundheitsexperten und Aktivist/innen. Gemeinsam werden wir umsetzbare Module von Aktivitäten und Projekten entwickeln, die sich auf aktive Bürgerschaft konzentrieren und miteinander verbundene Themen wie Umwelt, öffentliche Gesundheit, bürgerschaftliches Engagement von Studenten, geschlechtsspezifische Gewalt und Bürgerjournalismus aufgreifen.

Vertrauen wieder aufbauen

In der Region Kurdistan im Irak (KRG) herrscht seit langem eine weit verbreitete Frustration und ein Mangel an Vertrauen in die Regierung und große internationale Organisationen. Daher wollen wir einen anderen Ansatz zu erkunden, der neue Beziehungen und ein neues Verständnis der Interaktion zwischen den Menschen und ihrer Regierung fördert – nicht als Untertanen, sondern als Bürger.

In der zweiten Jahreshälfte 2024 begann die erste Phase dieses Projekts an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Themen. In Halabja konzentrierten sich die Aktivitäten zunächst auf den Umweltbereich. In Bürger/innenversammlungen unter freiem Himmel werden die Projektkonzepte durch interaktive Spiele vorgestellt, gefolgt von Diskussionen und Präsentationen von Jugendlichen über ihre Sicht auf die Umweltprobleme in ihren Gemeinden. Die Jugendlichen werden in Teams aufgeteilt, die Lösungen für die von anderen Teams ermittelten Umweltprobleme präsentieren. Dies fördert das kritische Denken, ermutigt, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen und schafft ein tieferes Verständnis dafür, wie man komplexe Probleme aus verschiedenen Blickwinkeln angehen kann. Die von den Jugendteams vorgeschlagenen Lösungen werden in laufende Umweltinitiativen einbezogen.

Ermutigung zur Stimmabgabe

Im Vorfeld der kurdischen Parlamentswahlen im Oktober 2024 haben die Partner KirkukNow und ADWI gemeinsam den Leitfaden „Your First Vote“ (Deine erste Stimme) für Neuwähler/innen erstellt, der den Wahlprozess erklärt und sie in die Lage versetzt, fundierte Entscheidungen zu treffen. Dieses Video ist ein Beispiel für neue Ansätze, neue Medien, Zusammenarbeit, Netzwerkbildung und das Engagement junger Menschen in demokratischen Prozessen.

In Dohuk initiierte Wadi diesen Ansatz im Juni, noch vor dem Internationalen Tag des Kindes. Die irakische Regierung kündigte an, die Finanzierung der Lager für Binnenvertriebene, in denen Tausende Jesiden untergebracht sind, einzustellen, und drängte sie trotz anhaltender Sicherheitsbedenken zur Rückkehr nach Sinjar. Das Sinjar-Massaker (August 2014) und der anschließende Völkermord führten dazu, dass viele Kinder zu Waisen wurden und keine Schulbildung erhalten haben. Noch heute leben Hunderttausende Jesiden in Vertriebenenlagern, und viele jüngere Generationen haben das Leben außerhalb dieser Lager nie kennengelernt.

Ein Teil dieses Projekts ist die Unterstützung der Selbstorganisation der Jesiden, um die Zusammenarbeit bei der Suche nach Lösungen für die verschiedenen Probleme des Lebens in den Lagern zu fördern.

Ein weiterer Schwerpunkt des Projekts ist die Stärkung der Netzwerke zwischen den Organisationen und die Verbesserung der technischen Fähigkeiten. Wadi bietet Schulungen in organisatorischen Fertigkeiten wie Dokumentation, Berichterstattung, Finanzmanagement, Budgetplanung und Berichterstattung an. Wir fördern den Aufbau von Netzwerken und die Kommunikation zwischen den Partnern, um den Wissensaustausch zu erleichtern und das Wachstum und die Unabhängigkeit der Organisationen zu fördern. Einige dieser Partner sind aus früheren Wadi-Projekten hervorgegangen, und wir werden ihre Entwicklung zu unabhängigen NROs weiter unterstützend begleiten.

Alle Partner engagieren sich aktiv in ihren jeweiligen Rollen, von der Wahlberichterstattung durch Journalist/innen bis hin zur Arbeit mit Schulen und Jugendlichen zur Förderung demokratischer Prozesse und bürgerschaftlichen Engagements. Sie sind auch am Aufbau von Recycling-Netzwerken beteiligt und fördern das Umweltengagement durch Selbstorganisation in Schulen, Universitäten und Vertriebenen-/Flüchtlingslagern. Die Planung für 2025 umfasst die Überprüfung des Feedbacks der Teilnehmer/innen vor Ort, die Koordinierung mit den Netzwerkpartnern und die Abstimmung über die Schulungsthemen für die nächsten sechs Monate, was dem Projekt neue Energie, Visionen und ein hohes Maß an Engagement verleiht.

Ein genauerer Blick auf die verschiedenen Säulen des Projekts:

Umwelt: 

Immer mehr Menschen, insbesondere junge Menschen, erkennen die negativen Auswirkungen von Plastikabfällen, nicht recyceltem Müll und Müllverbrennung auf ihr Leben. Soziale Medien haben dabei eine entscheidende Rolle gespielt, indem sie sie mit globalen Bewegungen vernetzen und das Bewusstsein für diese Themen schärfen. Wadi fördert Umweltaktionen, indem es stärkere Verbindungen zwischen Gemeinden, lokalen Regierungen, Schulen, Universitäten, Aktivisten, Freiwilligen und gemeinnützigen Organisationen schafft.

Aktive Bürgerbeteiligung ist ein Grundprinzip dieses Projekts

Die Projektpartner haben in Zusammenarbeit mit lokalen Communities und Aktivisten Projekte vorgeschlagen, wie die Einrichtung von Einweg-Recycling-Systemen, die Durchführung von Workshops zum Thema Wasserschutz und die Organisation von Aufräumaktionen mit Schüler/innen und Freiwilligen. Die Einordnung des Umweltengagements als eine Form der aktiven Bürgerbeteiligung hat sowohl bei den Partnern als auch bei den Gemeindemitgliedern großen Anklang gefunden. Dieser Ansatz bietet wertvolle Möglichkeiten für die Zusammenarbeit zwischen lokalen Behörden und Projektpartnern.

So wurde beispielsweise die Idee, die Wirkung dieser Säule durch die Verknüpfung mit anderen Projektbereichen wie Bildung, Medien und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt zu verstärken, besonders positiv aufgenommen. Dieser integrierte Ansatz bietet den Gemeindemitgliedern eine greifbare und sichtbare Möglichkeit, einen Beitrag zu leisten, mit den lokalen Behörden in Kontakt zu treten, neue Beziehungen aufzubauen und lokale Netzwerke zu schaffen.

Aktive Bürgerbeteiligung ist ein Grundprinzip dieses Projekts, das für die Wiederherstellung des sozialen Vertrauens und die Förderung einer echten partizipativen Demokratie von entscheidender Bedeutung ist. Diese Art des Engagements ist sehr lohnend, und seine positiven Auswirkungen sind oft schnell zu beobachten – zum Beispiel, wenn sich ein vermüllter Park in einen sauberen und grünen Erholungsraum verwandelt.

Durch die Unterstützung dieser Aktivitäten wollen wir einen Rahmen für die Zusammenarbeit mit lokalen Gemeinden schaffen und gleichzeitig Mechanismen für die Rechenschaftspflicht einrichten. Wir planen, erfolgreiche Projekte zu dokumentieren und praktische, anpassbare Best-Practice-Leitfäden für andere Gemeinden zu entwickeln. Die Umweltkomponente dieses Projekts konzentriert sich auf Gemeinden und Dörfer in Halabja, Dohuk und Kifri.

Schulen:

Diese Komponente wurde angepasst, um den anhaltenden Schulstreiks in der Region Kurdistan Rechnung zu tragen, die den Schulbetrieb unberechenbar gemacht haben. Sollten diese Störungen anhalten, wird unser Partner ADWI seine Aktivitäten auf Gemeinschaftsräume außerhalb der Schulen verlagern. 

Diese Situation zeigt, dass wir neben den üblichen Vorträgen auch andere Lehrmethoden brauchen. Deshalb wird das Projekt visuelle Hilfsmittel und interaktive Materialien nutzen. Außerdem wird der Bereich Schulen mit anderen Projektbereichen verbunden, um Themen wie gewaltfreie Konfliktlösung, Kinderrechte, spielerisches Lernen, Gesundheit und Wellness, geschlechtsspezifische Gewalt und Cybermobbing zu behandeln. Rundtischgespräche zwischen den Partnern werden den Austausch von Wissen und Erfahrungen fördern.

In Kurdistan ist der Glaube tief verwurzelt, dass Kinder das „Eigentum“ ihrer Familien sind. Dies wird durch rigide Schulsysteme verstärkt, in denen Angst und körperliche Züchtigung zur Durchsetzung von Autorität eingesetzt werden. Die Stimmen der Kinder werden unterdrückt, und das Äußern von Meinungen oder das Stellen von Fragen wird oft unterbunden oder sogar bestraft. Diese Lehrer-Schüler-Dynamik, die von Autoritarismus und mangelnder Rechenschaftspflicht der Lehrer geprägt ist, ist weitgehend unverändert geblieben.

Eltern vertrauen den Lehrern in der Regel ihre gesamte Autorität an und erwarten, dass ihre Kinder ihnen bedingungslos gehorchen. In diesem System werden die Kinder nicht auf aktive und engagierte Teilhabe in einer bürgerlichen Gesellschaft vorbereitet, sondern zu Untertanen erzogen. Der Bericht von Human Rights Watch aus dem Jahr 2020 über körperliche Züchtigung im Nahen Osten unterstreicht die verheerenden Auswirkungen dieser Praxis auf Kinder, Jugendliche und die Gesellschaft.

Eine kürzlich erfolgte Gesetzesänderung in Kurdistan erlaubt und fördert nun die Zusammenarbeit von Schulen mit NRO und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Diese positive Entwicklung, die bei der Planung des Projekts im Januar 2024 berücksichtigt wurde, bietet eine hervorragende Gelegenheit, Jugendliche für Konzepte wie aktive Bürgerschaft, Demokratie und Selbstorganisation zu begeistern.

Die Förderung aktiven Engagements in Schulen hat bereits gute Fortschritte gezeitigt. Wir haben eng mit Schulen, Schülern, Eltern und Bildungsbehörden zusammengearbeitet, um Räume für einen offenen Dialog zu schaffen. Im Rahmen unserer 2017 gestarteten Kampagne „Nein zu Gewalt“ setzen wir uns gegen körperliche Züchtigung und Mobbing ein, schulen Lehrer und Eltern in gewaltfreier Konfliktlösung und ermutigen Schulen, integrativere Ansätze zu wählen. 

GBV und FGM:

Geschlechtsspezifische Gewalt (GBV), zu der auch weibliche Genitalverstümmelung (FGM) gehört, hat ihre Wurzeln in ungerechten Geschlechterverhältnissen und Traditionen, die Männern Macht über Frauen geben. Solche Gewalt verletzt die grundlegenden Rechte von Frauen, über ihren eigenen Körper zu bestimmen, sicher zu leben und frei von Schaden zu sein.

Die jüngsten politischen Entwicklungen in Bagdad, wo ein neues Gesetz verabschiedet werden sollte, das das Heiratsalter von 18 auf 9 Jahre herabsetzt, haben in der kurdischen Region Besorgnis ausgelöst, denn damit würden Kinderheiraten faktisch legalisiert und religiöse Autoritäten erhielten umfangreiche Kontrolle über Familienangelegenheiten. Zudem gibt es gelegentlich Bestrebungen, das in der kurdischen Region gültige Gesetz zum Verbot von Genitalverstümmelung aufzuweichen.

Jetzt ist ein entscheidender Zeitpunkt, um GBV und Kinderheirat zu bekämpfen. Unsere Projektaktivitäten zielen darauf ab, eine Dynamik über ein öffentliches Bewusstsein zu schaffen. Unser Kolleginnen von ADWI planen, den Zusammenhang zwischen gesetzlichen Rechten und Fragen der öffentlichen Gesundheit im Zusammenhang mit GBV und FGM stärker herauszustellen.

FGM ist eine Form von GBV, die den Wunsch nach Kontrolle über den Körper der Frau widerspiegelt. Zu GBV in Kurdistan gehören auch Probleme wie Kinderheirat, Zwangsheirat, Ehrenmorde, häusliche Gewalt und fehlender Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung. Seit 2004, als unsere mobilen Gesundheitsteams erstmals die weit verbreitete Praxis im Nordirak dokumentierten, setzt Wadi sich für die Beendigung der Genitalverstümmelung ein. Wir sind uns der Notwendigkeit eines umfassenden Ansatzes bewusst, der GBV und die Ungleichheit der Geschlechter in der gesamten Gesellschaft bekämpft. Unser Projekt verfolgt einen „bürgerschaftlichen Ansatz“ mit dem Ziel, die Gleichberechtigung der Frauen zu erreichen. Wir werden Verbindungen zwischen allen Projektbereichen (Umwelt, Schulen, Medien usw.) herstellen, um die einfache Botschaft zu verbreiten, dass Frauen Menschen sind und kein Eigentum.

Vor zwanzig Jahren war es ein Tabu, über FGM zu sprechen. Wadi hat zusammen mit lokalen NGOs das erste große Anti-FGM-Programm im Irak gestartet. Die Kampagne „Stoppt FGM in Kurdistan“ hatte zum Ziel, die Öffentlichkeit aufzuklären, das Schweigen zu brechen und ein Ende der Praktik zu fordern. Unsere mobilen Gesundheitsteams wurden zu Anti-FGM-Aufklärungsteams, und FGM wurde zu einem offen diskutierten Thema.

Die von Frauen geführte Kampagne „Stop FGM Kurdistan“ forderte nicht nur ein Ende von FGM, sondern auch die Anerkennung von Frauen als gleichberechtigte Bürgerinnen.

Im Jahr 2010 zeigten Wadis Recherchen, dass FGM in den meisten Teilen Kurdistans, außer in Dohuk, praktiziert wurde. Dank der beharrlichen Bemühungen von Wadi und anderen Aktivist/innen verabschiedete das kurdische Parlament 2011 ein Gesetz zum Verbot von FGM. Durch kontinuierliche Aufklärung und Engagement in den Gemeinden erreichte Wadi bis 2020 die vollständige Abschaffung von FGM in den Gebieten Halabja und Garmyan.

Die von Frauen geführte Kampagne „Stop FGM Kurdistan“ forderte nicht nur ein Ende von FGM, sondern auch die Anerkennung von Frauen als gleichberechtigte Bürgerinnen. Diese Kampagne lenkte die Aufmerksamkeit auf andere Probleme, die Frauen betreffen, wie Zwangsheirat und häusliche Gewalt. Die STOP FGM-Kampagne wird fortgesetzt und nutzt verschiedene Methoden, darunter öffentliche Diskussionen und Zusammenarbeit mit Gemeinden. Wir setzen uns für eine Gesetzesreform auch im Zentralirak ein, klären religiöse Führer auf und schärfen das Bewusstsein für die schädlichen Auswirkungen von FGM und Kinderheirat.

Im Zuge dieser teilweise selbstorganisierten Kampagne haben sich viele Frauen zu Wort gemeldet und diese Traditionen in Frage gestellt. Sie haben ein starkes Netzwerk aufgebaut, das für umfassende Gleichberechtigung kämpft.

Im Zuge der Ausweitung des Projekts schlägt Wadi vor, den Ausbau der technischen Fähigkeiten der Partnerorganisationen zu unterstützen, damit sie die lokalen Communities besser unterstützen können. Wir werden Wert darauf legen, Frauen, Flüchtlinge, Binnenvertriebene und Minderheiten als gleichberechtigte Bürger zu behandeln. Die Aktivitäten des Projekts werden sich auf die Regionen Ranya, Garmyan und Erbil konzentrieren.

Medien:

Der Bürgerjournalismus, bei dem normale Menschen aktiv Nachrichten und Informationen weitergeben, ist zu einem wichtigen Bestandteil unserer Medienlandschaft geworden. Dieser „Volksjournalismus“ befähigt die Einzelnen, zu aktiven Bürgern zu werden, den Informationsfluss zu demokratisieren und sicherzustellen, dass verschiedene Perspektiven gehört werden.

Im Nordirak, wo die Pressefreiheit oft nur schwach ausgeprägt ist, spielt der Bürgerjournalismus eine entscheidende Rolle. Er ermöglicht es den Menschen, über wichtige lokale Themen zu berichten, die öffentliche Meinung zu mobilisieren und einen positiven sozialen Wandel voranzutreiben. Seit 15 Jahren setzt sich Wadi für dieses Konzept ein, indem es Räume für Diskussionen schafft und unabhängige Medien fördert.

Frauen, die im öffentlichen Leben oft an den Rand gedrängt werden, haben durch Bürgerjournalismus ihre Stimme gefunden. Indem sie ihre Geschichten im Radio und in den sozialen Medien erzählen, stärken sie ihre Position und setzen sich für ihre Rechte ein. Bürgerjournalisten geben einzigartige Einblicke in die lokale Kultur und Gesellschaft, bereichern den öffentlichen Diskurs und fördern ein tieferes Verständnis für komplexe Themen.

In einer Zeit der Fehlinformationen sind Bürgerjournalisten eine wichtige Kontrollinstanz für die Glaubwürdigkeit von Nachrichten. Ein berechtigtes Anliegen ist jedoch das Fehlen eines einheitlichen ethischen Kodex für Bürgerjournalisten. Um dieses Problem zu lösen, müssen wir klare ethische Standards und Richtlinien festlegen, die von Journalist/innen und Medienfachleuten gemeinsam entwickelt werden.

Um eine solide Grundlage für den Bürgerjournalismus zu schaffen, muss bei den Teilnehmer/innen ein Gefühl der Bürgerbeteiligung gefördert werden. Dies kann durch Workshops und Schulungen erreicht werden, in denen verschiedene Konzepte von Bürgerengagement und ihre Relevanz im kurdischen Kontext untersucht werden.

Wadi beabsichtigt, lokale Partner, die sich im Bürgerjournalismus engagieren oder zukünftige Journalisten ausbilden, stärker zu unterstützen. So soll der Austausch von Ideen gefördert und das Konzept der „Citizenship“ in allen Projektaktivitäten stärker herausgestellt werden.

Juristischer Beistand und Rechtshilfe:

Um die Rechte und das Wohlergehen von Frauen zu fördern, kooperiert dieses Projekt mit erfahrenen Partnern, die bereits Schulungen zu Rechtshilfe sowie Frauen- und Jugendrechten anbieten. Diese Themen sind untrennbar mit unseren Schwerpunkten GBV und FGM verbunden, da sie alle auf umfassendere Fragen der Frauenrechte und der sozialen Gerechtigkeit einzahlen.

Zu den Aktivitäten gehören Schulungen für Institutionen, mit denen Frauen häufig zu tun haben, wie Gerichte, Regierungsstellen und Krankenhäuser. Diese Veranstaltungen werden das Bewusstsein für die gesetzlichen Rechte von Frauen schärfen und u.a. das Recht auf einen Arbeitsplatz ohne geschlechtsspezifische Belästigung herausstellen.

Darüber hinaus wird sich das Projekt darauf konzentrieren, Geschäftsinhaberinnen über ihre gesetzlichen Rechte aufzuklären und ihnen zu zeigen, wie sie sich vor möglicher Gewalt schützen können.

Um Frauen weiter zu stärken, plant der derzeitige Projektpartner Wola, Sommerkurse für angehende Juristinnen anzubieten, in denen sie mit dem Wissen und den Fähigkeiten ausgestattet werden, die sie benötigen, um sich effektiv für ihre zukünftigen Mandant/innen einzusetzen. Wadi wird die Partnerorganisationen unterstützen, indem es ihre technischen Kapazitäten ausbaut und sich für eine verstärkte Medienberichterstattung über diese wichtigen Themen einsetzt.

Öffentliche Gesundheit:

Dieses Projekt zielt darauf ab, die Verbindung zwischen Gesundheitsdienstleistern, Gesundheitszentren und lokalen Communities zu stärken. Derzeit klafft eine erhebliche Lücke in der Gesundheitsaufklärung, insbesondere in Bezug auf übertragbare Krankheiten und reproduktive Gesundheit. Diese Probleme werden oft noch durch geschlechtsspezifische Ungleichheiten verschärft, von denen Frauen und Mädchen stark betroffen sind.

Wenn die Menschen Ärzte als allwissende Autoritäten betrachten und das Gefühl haben, dass eine gute Gesundheit unerreichbar ist, dann ist es um die öffentliche Gesundheit eher schlecht bestellt. Oft fühlen sich die Menschen machtlos und trauen sich nicht, die Entscheidungen ihres Arztes in Frage zu stellen. Das Konzept der Patientenrechte ist oft nur schwach ausgeprägt. Patienten fühlen sich gerade während der Behandlung oft sehr verletzlich. Besonders deutlich wird dies auf Entbindungsstationen, wo Frauen oft mit wenig Respekt und Würde behandelt werden. Dem kann entgegengewirkt werden, indem die Bürger/innen ermutigt werden, eine aktivere Rolle bei ihrer eigenen Gesundheitsversorgung zu spielen. 

Indem wir die Bürgerinnen und Bürger aktiv einbeziehen und über Fragen der öffentlichen Gesundheit informieren, können wir sie in die Lage versetzen, die Gesundheit in ihren Gemeinden zu verbessern.

Begrenzte Gesundheitsaufklärung für Frauen, schlechter Zugang zu Informationen über reproduktive Gesundheit, frühe (und oft erzwungene) Verheiratung und unzureichender Zugang zu Familienplanung – all dies trägt zu schlechten Gesundheitsergebnissen für Frauen bei. Der autoritäre Ansatz einiger Ärzte bringt die Stimme der Frauen vollends zum Schweigen und erschwert es ihnen, fundierte Entscheidungen über ihre eigene Gesundheit zu treffen. Besonders traumatisch ist dies für Frauen, die FGM oder häusliche Gewalt erlebt haben.

Ein geschlechtergerechter, bürgernaher Ansatz in der Gesundheitsversorgung kann geschlechtsspezifische Diskriminierung – von Ungleichheiten am Arbeitsplatz bis hin zu geschlechtsspezifischer Gewalt – bekämpfen und die Gesundheit und das Wohlbefinden von Frauen insgesamt verbessern. Öffentliche Gesundheit, Frauengesundheit, Frauenrechte und Patientenrechte sind miteinander verknüpft und für die Schaffung einer gerechteren Gesellschaft unerlässlich.

Dieses Projekt zielt darauf ab, die traditionelle Rolle der Menschen von passiven Empfängern der Gesundheitsversorgung zu aktiven Teilnehmern zu machen. Während der COVID-19-Pandemie haben wir erlebt, wie sich das geringe Vertrauen der Öffentlichkeit in staatliche Gesundheitsvorsorge auswirkt. Die Menschen ignorierten die offiziellen Hinweise und hielten sie für Fehlinformationen.

Daher streben wir einen anderen Ansatz an. Wir haben mit staatlichen Akteuren zusammengearbeitet, um die aktive und verantwortungsvolle Beteiligung der Bürger/innen an öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen durch unsere „Citizen to Citizen Corona Campaign“ (C4) zu fördern. Diese Kampagne betonte die Bedeutung der individuellen Verantwortung für die Gesundheit der Gemeinschaft und ermutigte zu einfachen Maßnahmen wie Abstandhalten, Tragen von Masken und Händewaschen.

Wadi hat lokale Gesundheitszentren, Unternehmen und Gemeinschaftseinrichtungen unterstützt, um mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen. Außerdem haben wir Aufklärungsmaterial wie Aufkleber, Handdesinfektionsmittel und Masken verteilt. Diese Erfahrung zeigte uns die enorme Kluft zwischen den Menschen und dem Gesundheitssystem und das geringe Vertrauen in staatliche Einrichtungen. Das Projekt zielt darauf ab, Gesundheitsdienstleister dabei zu unterstützen, mit ihren Gemeinden in Kontakt zu treten und ihre Beziehungen zu den Patienten neu zu bewerten. Außerdem werden wir lokale Organisationen in die Lage versetzen, Fragen der Familienplanung und der Familiengesundheit sowohl auf kommunaler als auch auf individueller Ebene anzugehen.

Indem wir die Bürgerinnen und Bürger aktiv einbeziehen und über Fragen der öffentlichen Gesundheit informieren, können wir sie in die Lage versetzen, die Gesundheit in ihren Gemeinden zu verbessern. Wir können Frauen dabei helfen, über ihren Körper und ihre Reproduktion selbst zu entscheiden – etwas, das zu den grundlegenden Menschenrechten gehört.

Dieses Projekt fördert schwerpunktmäßig Gesundheitsdienstleister, Gesundheitszentren und Bürger/innen in den Gemeinden. Es geht darum, die Zusammenarbeit zwischen diesen Akteuren zu fördern. So können wir beispielsweise Ärzte darin schulen, Überlebende von Genitalverstümmelung zu unterstützen, ihr Verhalten am Krankenbett zu verbessern und gemeinsam mit Bürger/innen eine „Patientenrechtscharta“ zu entwickeln. Gesundheitsdienstleister können auch eine entscheidende Rolle bei der Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Gesundheitsthemen spielen, indem sie auf die Gemeinden zugehen und in den Medien auftreten. Die Möglichkeiten der Zusammenarbeit sind vielfältig und werden von den Teilnehmer/innen selbst bestimmt.

Einige Hintergrundinformationen zu strukturellen Ungleichheiten:

Eine der größten Herausforderungen, die sich auf das tägliche Leben der Menschen in vielen Gesellschaften des Nahen Ostens auswirkt, ist die Existenz von Personenstandsgesetzen. Während die Strafgesetze in der Regel auf die Gleichheit der Bürger abzielen, diskriminieren viele Zivilgesetze nach wie vor aufgrund des Geschlechts und der Religionszugehörigkeit und wirken sich stark darauf aus, wie eine Person mit der Welt interagiert und wie ihre täglichen Lebensentscheidungen auf der Mikro- und Makroebene beeinflusst werden. Für Menschen mit einem westeuropäischen Verständnis des Zivilrechts kann es wirklich schwierig sein, zu begreifen, wie tief diese Ungleichheiten in das tägliche Leben eingreifen.

Zwischen Kampagnen für aktive Staatsbürgerschaft und dem Eintreten für ein einheitliches Gesetz, das alle Iraker als gleichberechtigte Bürger anerkennt, besteht eine starke Verbindung.

Equality Now weist auf dieses Problem hin: „Das Fehlen eines einheitlichen säkularen Familiengesetzes in den meisten MENA-Ländern verschärft die Diskriminierung von Frauen und von Frauen verschiedener Religionen. In Ländern, in denen verschiedene Religionen gesetzlich anerkannt sind, gibt es mehrere Familiengesetze. Im Libanon beispielsweise regeln 15 verschiedene Familiengesetze Ehe, Sorgerecht und Vormundschaft, was den starken Einfluss religiöser und sozialer Normen auf die Einschränkung der Rechte von Frauen in diesen Bereichen widerspiegelt.  

Diese Gesetze haben einen tiefgreifenden Einfluss auf das tägliche Leben von Frauen und Minderheiten. Die Scharia, die die Grundlage vieler Personenstandsgesetze bildet, gewährt Frauen häufig weniger Erbrechte, benachteiligt sie bei Scheidungsverfahren und schränkt ihre Bewegungsfreiheit ein. Diese Ungleichheiten haben Frauenrechtsaktivisten dazu veranlasst, eine langjährige Kampagne „Ein Gesetz für alle“ zu starten. Diese Forderung spiegelt genau ein entscheidendes, aber in Europa oft übersehenes Problem wider: Ein irakischer Pass garantiert nicht die stets gleiche Staatsbürgerschaft. Stattdessen kann der religiöse, ethnische und geschlechtsspezifische Hintergrund einer Person zu rechtlichen Unterschieden führen. Echte Staatsbürgerschaft erfordert echte Gleichheit. Daher sind Initiativen, die sich für ein einziges, einheitliches Gesetz einsetzen, von entscheidender Bedeutung für die Verwirklichung echter Gleichheit.

Das osmanische „Milliyet“-System, das religiösen Gruppen einen gewissen Grad an Selbstverwaltung, einschließlich über ihre zivilrechtlichen Angelegenheiten, gewährte, hat zur Akzeptanz dieser Ungleichheiten innerhalb der Gesellschaften im Nahen Osten beigetragen. Traditionelle Akteure, wie das religiöse Establishment und Stammesführer, widersetzen sich oft Bemühungen, dieses System abzubauen. Folglich sind lokal verankerte Kampagnen entscheidend, um diese tief verwurzelten Ungleichheiten zu überwinden. In einigen Fällen greifen Gerichte in ländlichen Gebieten sogar auf Stammes- oder Scharia-Rechte zurück und ignorieren die Bestimmungen der geltenden irakischen Zivil- und Strafgesetze.

Zwischen Kampagnen für aktive Staatsbürgerschaft und dem Eintreten für ein einheitliches Gesetz, das alle Iraker als gleichberechtigte Bürger anerkennt, besteht eine starke Verbindung. Solche Reformen wären entscheidend, um Frauen und Mädchen zu stärken und die rechtliche Diskriminierung, der sie ausgesetzt sind, zu beenden. Während die Region Kurdistan im Irak (KRG) 2011 Fortschritte gemacht hat, indem sie eines der fortschrittlichsten Gesetze gegen häusliche Gewalt verabschiedet hat, bleibt die vollständige Umsetzung eine erhebliche Herausforderung. Dieses Projekt ist ein erster Schritt in einem langfristigen Engagement, Räume zu schaffen, technisches Wissen aufzubauen und den nötigen Rückhalt für Menschen zu bieten, damit sie für ihre Rechte als gleichberechtigte Bürger/innen eintreten können.

Dieses Projekt wird unterstützt vom Generalkonsulat in Erbil und dem Außenministerium des: