Von Thomas v. der Osten-Sacken, 17.09.2021

Protest von Afghaninnen in Lesbos, Bild: MCAT
Seit Jahrzehnten verfolgen wir von Wadi kritisch, wie internationale Hilfsgelder nicht nur häufig in dunklen Kanälen verschwinden, sondern oft sogar das Gegenteil dessen bewirken, was sie erreichen sollen.
Weil Wadi für diese kritische Position bekannt ist, wenden sich auch Journalistinnen und Journalisten an uns, wenn es um Länder geht, in denen wir nicht direkt aktiv sind.
Vergangene Woche führte Philip Volkmann-Schluck ein längeres Gespräch mit mir, bei dem wir ausführlich die Probleme internationale Hilfe besprachen. Heute hat die Welt daraus eines ihrer Titelthemen gemacht. Der Artikel selbst befindet sich hinter eine Paywall, deshalb kann hier nur ein Auszug wieder gegeben werden:
Sein Blick auf die Proteste in Kabul sieht so aus: Mutige Frauen haben von der Weltgemeinschaft gefordert, die Taliban-Regierung nicht anzuerkennen. „Das muss auch bedeuten, dass die Taliban jetzt nicht einfach so Geld erhalten“, sagt er.

Aber das Gegenteil geschehe. Eine Milliarde Euro für Soforthilfe haben die Vereinten Nationen auf einer Geberkonferenz für Afghanistan eingesammelt.
Während also die Vereinten Nationen, NGOs und viele Staatschefs diese Summe bejubeln, sieht Osten-Sacken das Unheil seinen Lauf nehmen. Seine „schlimmste Vorstellung“ sei stet gewesen, dass sich Menschen nicht nur gegen islamistische Despoten wehren müssen. Sondern auch gegen Deutschland und Europa, die ihre Unterdrücker finanzieren.
„Genau das“, sagt Thomas von der Osten-Sacken, „passiert jetzt in Afghanistan“. WELT erreicht den 53-Jährigen auf der griechischen Insel Lesbos wo seine Organisation „Wadi e.V“ Selbsthilfeprojekte für Flüchtlinge im Camp Moria unterstützt. Bereits als Student begann Osten-Sacken nach dem Irak-Krieg 1991 mit Hilfsprojekten in der Region, darunter im Nordirak und in Syrien. Osten-Sacken tut etwas, das selten ist in einer Branche, die von Spenden und ihrem guten Ruf lebt.
Er macht seit vielen Jahren rücksichtslos auf die Widersprüche der Not und Entwicklungshilfe aufmerksam. Er prangert nicht nur an, wie sich Organisationen durch die Zusammenarbeit mit antidemokratischen Regimen korrumpieren. Er sagt auch offen, dass die Branche gut von Krisen lebt und verweist auf die aktuell vielen Spendenaufrufe.
Viele der von uns diskutierten Probleme fasst Volkmann-Schluck allerdings auch in einem sehr hörenswerten und frei zugänglichen Podcast zusammen.
Zu dem selben Thema schrieb ich in einem Beitrag für Mena-Watch:
Eigentlich wäre es ganz einfach gewesen, denn hätten sich die Taliban an jene Verträge gehalten, die sie mit dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump im Rahmen seiner Abzugspläne unterschrieben hatten, gäbe es die unmittelbare Not heute nicht.
Man mag von den Verhandlungen, die mit den Taliban geführt wurden, halten was man will, und ich habe nie viel von ihnen gehalten, aber Teil des Pakets war es, sich auch mit der gewählten afghanischen Regierung an den Tisch zu setzen und eine neue inklusive Regierungsform zu entwickeln, in der die Taliban eine, nicht die zentrale Rolle spielen würden. Damals erklärte der afghanische Präsident, auch wenn er von den Verhandlungen in Doha ausgeschlossen war, seine Bereitschaft mit den Taliban ein Übereinkommen auszuhandeln.
Hätte dies funktioniert und wäre nicht von den Taliban, die stattdessen mit Hilfe Pakistans den ganzen Kuchen wollten, ein militärischer Sieg angestrebt worden, die Situation im Land stellte sich heute doch recht anders dar: Ein Großteil internationaler Hilfe flösse weiter, die Lage der Zivilbevölkerung wäre schlecht, aber nur so schlecht wie sie es im April 2021 auch war, als der Abzug der US-Truppen begann.
Erstaunlich, dass in all den Dialogangeboten, die nun auf die Gotteskrieger niederprasseln, nicht eines sie zum Verursacher der aktuellen Krise erklärt und auffordert, schlicht nachzuholen, wozu sie sich in Doha eigentlich verpflichtet hatten.
Kurz: Es gibt eine Wahl und die Botschaft an Euch, die natürlich auch von der Bevölkerung vernommen wird, über die ihr nun ohne jede Legitimation herrscht, ist einfach. Entweder es gibt eine Regierung, an der repräsentativ auch alle anderen Akteure Afghanistan beteiligt sind, und baldige Neuwahlen, bei denen sich dann ja zeigen wird, ob die Behauptung, die Taliban seien so willkommen, sich bewahrheiten kann – oder es gibt kein Geld.
Die Entscheidung läge damit in den Händen der Taliban. Beharrten sie weiter auf ihrem Alleinvertretungsanspruch, so wären auch alleine sie es, die für die kommende humanitäre Katastrophe – sowohl international als auch gegenüber den Menschen im Land – verantwortlich zu machen sind.
Ganz offensichtlich weiß die Taliban-Führung, dass ihnen schon jetzt das Wasser bis zum Hals steht und weder Pakistan noch China ihnen mit größeren Summen unter die Arme greifen werden. Irgendjemand hat ihr offenbar im Frühling erzählt, dass der Westen schon zahlen werde, auch wenn sie das ganze Land übernehmen.
Leider scheint es so, dass dieser, vermutlich aus den Reihen des pakistanischen Geheimdienstes stammende, Irgendjemand Recht behalten wird: Das Geld fließt, ohne dass irgendwelche Bedingungen gestellt würden.
Dabei wäre dies im Moment noch einfach, sollten die Taliban hingegen ihre Macht, die im Moment noch aufgrund verschiedener Faktoren und interner Streitigkeiten, äußerst wacklig ist, festigen, dann werden sie sich noch kompromissloser zeigen, als sie es jetzt schon tun. Das haben solche Regimes in der Vergangenheit oft genug bewiesen.