Unsere Partnerorganisation WOLA (Women’s Legal Assistance) wurde im Frühjahr 2008 von Anwältinnen und Aktivistinnen gegründet. Sie bietet einerseits individuelle Rechtsberatung an, zum anderen wird von den Aktivistinnen die generelle Entwicklung der irakischen Rechtssprechung in Bezug auf Frauen unter die Lupe genommen. WOLA versteht sich als Lobbyorganisation im Kampf gegen die faktische Ungleichbehandlung von Männern und Frauen vor Gericht.
„Endlich haben wie sie bekommen. Es hat ja eine Weile gedauert.“ Es ist ein sehr hoher Stapel Akten, der sich hier in einem Büroraum von WOLA auftürmt. „Wir sind noch am Zählen“, sagt Tara Aref, eine der Anwältinnen, „aber es dürften zwischen 3 und 4000 Gerichtsurteile sein“. Es sind alle Gerichtsurteile aus Suleymania des vergangenen Jahres, die Frauen betroffen haben. Material für Untersuchungen, Belege möglicherweise für diskriminierende Urteile.
„Früher hätten sie das nie rausgerückt“ ist sich Tara sicher.“ „Courtwatch“ nennt sie ihr Projekt, die Überwachung der Gerichtspraxis in Suleymania. »Alle Iraker sind vor dem Recht gleich«, so will es die irakische Verfassung (Art. 14). Die Wirklichkeit sieht anders aus. Trotz des Gleichheitsgebots der Verfassung existieren nach wie vor unzählige Rechtsvorschriften, die eine gravierende Ungleichbehandlung begründen. Frauen sind in Fragen des Ehe- und Kindschaftsrechts, in Erbschafts- und Eigentumsfragen, aber auch strafprozess- und strafrechtlich gegenüber Männern benachteiligt.
Das derzeit geltende sogenannte »Personal Status Law«, das wesentliche Bereiche des Personenstands-, Ehe- und Familienrechts umfasst, stammt von 1959 und ist dringend reformbedürftig. Das Gesetz rekurriert in weiten Teilen auf die Sharia, konservative und islamische Parteien im Irak drängen darüber hinaus auf ein noch deutlicher an der Sharia orientiertes Familienrecht.
WOLA arbeitet als Lobbyorganisation für eine Liberalisierung des »Personal Status Law« und gegen die Implementierung islamischer Rechtsnormen im irakischen/kurdischen Recht. So war das Zentrum federführend an einer breiten Kampagne gegen die Legalisierung der Polygamie – Männern sollte die Möglichkeit eröffnet werden, mehrere Frauen zu heiraten. Inzwischen ist der Entwurf vom Tisch, stattdessen wurde Polygamie 2008 verboten, wenn auch mit Ausnahmeregelungen.
Die Ungleichbehandlung durch die Justiz kann für Frauen in Irakisch-Kurdistan vielerlei Formen annehmen. Gewalttaten gegen Frauen, innerfamiliäre Gewalt, sexuelle Übergriffe werden in vielen Fällen nicht verfolgt. Gerichte sprechen im Sinne traditioneller Werte »Recht«. Frauen, die in gerichtlichem Konflikt mit Männern stehen sind als „unehrenhaft“ sozial gebrandmarkt. Aus Angst vor der sozialen Isolation und dem Bann der Familie lassen sich Frauen von ihren Männern so oft erpressen und demütigen. Nicht zuletzt der weiterhin niedrige Bildungsstand von Frauen vor allem in ländlichen Regionen und die fehlende Aufklärung über Rechte verstärken diese Tendenzen.
Frauen haben jetzt eine gute Chance, ihre Rechte durchzusetzen
Handzettel liegen im große Gerichtsgebäude von Suleymania aus, nicht nur mit den Nummern von WOLA, sondern auch von Notunterkünften, Polizei und Frauenzentren. WoLa bietet rechtsanwaltliche Beratung und Unterstützung für Frauen vor Gericht – oder im Gefängnis. Es hat sich bisher bereits gezeigt, dass Qualität von Gerichtsurteilen und -verfahren alleine durch die anwaltliche Vertretung in vielen Fällen steigt. Frauen, die anwaltlich vertreten sind, haben eine gute Chance, ihre Rechte durchzusetzen.
Beispiele für geschlechterdiskriminierende Regelungen im Irak
§ 41 des irakischen Strafgesetzbuches (IStGB) stellt die »Bestrafung einer Frau durch ihren Ehemann« straffrei. § 398 IStGB sieht vor, dass wegen sexueller Übergriffe und/oder Vergewaltigung verurteilt Personen von Strafe ausgenommen werden, sofern sie die Geschädigte heiraten. Ehebruch ist gem. § 377 IStGB strafbar, wenn er von der Ehefrau begangen wurde (§ 377, 1). Im Falle des Ehemannes ist er nur dann strafbar, wenn er im eigenen Heim begangenen wurde (§ 377, 2).
Die sechs Frauen von WOLA versuchen in diesem Sinne auch vorbeugend tätig zu werden, denn es ist ihre Unwissenheit, die viele Frauen, gerade auf dem Land, zum Schweigen und Erleiden verdammt. In Zusammenarbeit mit den Frauenzentren in Halabja und Kiffri halten sie Vorträge über rechtliche Fragen und stehen hier in Notfällen und bei konkreten Fragen als Expertinnen parat. Seit Ende 2008 arbeitet WOLA darüber hinaus mit den Mobilen Teams der Stop-FGM-Kampagne zusammen und bietet juristische Beratungen an. Die Kampagne für das Gesetz gegen häusliche Gewalt, das auch weibliche Genitalverstümmelung verbietet, hat WOLA maßgeblich mitgetragen. Nach Erlass des Gesetzes im Juni 2011 haben die Rechtsanwältinnen angefangen, die Fortschritte bei der Implementierung zu überprüfen. „Wir besuchen alle Polizeistationen,“ erzählt Tara Aref. „Leider mussten wir feststellen, dass die meisten Polizisten, das Gesetz nicht kennen.“
Auch bei den in staatliche Hände übergegangenen Frauenschutzhäuser überprüft WOLA regelmäßig, ob der Staat seinen Pflichten nachkommt und befragt regelmäßig Mitarbeiterinnen und Klientinnen. „Shelter Watch“ nennt sich das Projekt, denn Nachhaltigkeit garantiert sich nicht von selbst.
Eine letzte Frage an die WOLA-Frauen. Fühlen sie sich persönlich als Anwältinnen eigentlich auch diskriminiert? Nicken. Eine sagt, „zum Beispiel bei Fällen, die mit Prostitution zu tun haben, da legt die Polizei durchaus nahe, dass man so etwas als weiblicher Anwalt wohl nicht übernehmen möchte. Es gibt natürlich kein offizielles Gesetz, das die Auswahl der Fälle einschränkt, aber die Traditionen, das funktioniert wie ein Gesetz.“ Ein Gesetz, an das man sich allerdings nicht mehr halten muss. Aber auch das ist erst das Ergebnis einer Entwicklung, individuell wie gesellschaftlich, auch bei WOLA: Eine der Anwältinnen bekennt, sie habe Probleme mit der Übernahme solcher Fälle, eine sagt entschieden „nein, ich nicht mehr“.
Beispiele aus der Praxis von WOLA
Zwei minderjähriger Mädchen aus dem Landkreis Suleymania sollten gemäß der kurdischen Braut-Tausch-Tradition »Zin-we-Zin« an die Männner einer anderen Familie verheiratet werden. Die Mädchen, die nicht mit den erwachsenen Männern zusammenleben wollten, wurden ermutigt gegen die Zwangsheirat zu klagen und vor Gericht vertreten. In beiden Fällen urteilte das Gericht, dass die Heirat unrechtmäßig und die Ehe ungültig sei.
In einem anderen Fall unterstützten die Anwältinnen des WOLA eine junge Frau darin, ihre Verlobung aufzulösen. Im Vorfeld der von den Familien arrangierten Hochzeit zog Nigar S. in das Haus ihres Verlobten und wurde dort binnen kurzer Zeit zum Opfer gewalttätiger Übergriffe. Nigar S. suchte erst Zuflucht in einem Frauenschutzhaus und wurde dort von einer Anwältin des WoLA beraten. Zwischenzeitlich verlangte die Familie des gewalttätigen Mannes eine finanzielle Kompensation von der Familie der geflohenen Braut. Vor Gericht erwirkte Nigar erfolgreich die Auflösung der Verlobung. Das Gericht urteilte weiter, dass sie zu keiner finanziellen Kompensation verpflichtet sei.
Ein siebzehnjähriges Mädchen rennt aus Angst vor dem Vater von zu Hause weg. Sie wird von der Polizei aufgegriffen. Allein schon durch den Umstand, dass sie unbegleitet ist, steht plötzlich der Verdacht der Prostitution im Raum. Die Familie weigert sich Kaution zu leisten. Das Mädchen bleibt vorerst im Gefängnis. Den Vater behelligt niemand. Eine Anwältin von WOLA nimmt Kontakt zu dem Mädchen auf.
Das Frauenrechtszentrum WOLA ist eine anerkannte und registrierte Organisation nach irakischem Recht. Gefördert wurde sie bisher u.a. durch das New Yorker Open Society Institute.