Rundbrief Sommer 2024: #Veränderungen

Soeben ist der Wadi Sommerrundbrief 2024 erschienen. Sie können ihn hier herunterladen. In ihm informieren wir sie über aktuelle Projekte im Bereich Umweltschutz, über die Arbeit der ‚Moria White Helmets‘ auf Lesbos und die Lage der Jesiden im Iran zehn Jahre nach dem Völkermord.

Aus der Einleitung:

Bei solcher Hitze sucht man am Wochenende die eher schattigen Plätze auf und einer davon ist in Suleymaniah der Azadi (Freiheit) – Park, aus dem ich Ihnen diese Zeilen schreibe, weil er auch einer der Orte ist, an dem man die Veränderungen, die hier während der letzten Jahrzehnte stattgefunden haben, wie unter einem Brennglas studieren kann.

rundotitDas recht große Areal nahe der Altstadt war nämlich bis 1991, als sich die Menschen in Irakisch-Kurdistan vom Joch Saddam Husseins befreien konnten, ein riesiges Militärlager. Hier waren die Truppen stationiert, mit denen die Diktatur ihre brutale Repression ausübte. Daran erinnert heute noch das so genannte “Rote Gebäude” am Eingang des Parks, eine ehemalige Zentrale des gefürchteten Geheimdienstes Saddams, die so erhalten wurde, wie jene kurdischen Milizen sie vorfanden, als sie sie im Frühjahr 1991 eroberten. Dort können Besucher die Folterkammern besichtigen, die Gefängniszellen, in denen unter unwürdigen Bedingungen Verdächtige zusammengepfercht waren, aber auch über die Geschichte des Widerstandes gegen das Saddam-Regime einiges erfahren.

Irak ist auch das Land der Massengräber: Seit dem Sturz Saddams werden überall immer wieder neue entdeckt, in denen Armee und Geheimdienst in den 80er Jahren Zivilisten, die wahllos erschossen wurden, verscharrten. Sogar auf dem Gelände des Azadi-Parks fand man so ein Massengrab, an das heute ein etwas in die Jahre gekommenes Denkmal erinnert.

Nur wenige Meter von diesem Denkmal entfernt findet am Wochenende ein von Frauen organisierter Kunsthandwerks- und Verbrauchermarkt statt, der dann schon ganz Teil des neuen Irakisch-Kurdistans ist. Hier legt man neuerdings Wert auf biologisch angebaute Produkte, und in unzähligen Projekten – so auch in unseren – wird ökonomische Unabhängigkeit von Frauen gefördert. Junge Paare schlendern dort ebenso vorbei wie Familien und Gruppen von Frauen. Manche biegen in den Lunapark ab, den es hier auch gibt, um auf einem künstlichen See Tretboot oder Achterbahn zu fahren.

All dies ist heute möglich, weil im Jahr 2000, also auch schon wieder vor zwei Dekaden, die damalige kurdische Verwaltung entschied, dieses Militärgelände in einen öffentlichen Park zu verwandeln und ihm diesen schönen Namen zu geben. Ganz besonders fortschrittlich war, dass zur Eröffnung erklärt wurde, dass in diesem Park sogenannte Anstandsdamen nicht erwünscht seien. Für junge Paare, die noch nicht verlobt und verheiratet waren, gab es bis dahin nämlich keinen Ort, an dem sie sich ohne Aufsicht hätten überhaupt treffen konnten. Immer musste eine Tante, ein Onkel oder anderes Familienmitglied dabei sein. Damit sollte nun Schluss ein, und anfangs kontrollierten sogar Wächter an den Eingängen des Parks, ob Besucher sich auch an diese Regel hielten.

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Solche Zeiten sind inzwischen auch Vergangenheit, und selbst wenn noch immer eine recht strenge Moral herrscht, haben sich die Sitten doch bemerkbar gelockert. Undenkbar war damals auch, dass in Cafés Frauen und Männer gemischt sitzen; es gab streng getrennt den Familiensektor und den nur für Männer. Heute gehört es zu einem selbstverständlichen Anblick, nicht nur im Azadi-Park, dass Gruppen von Frauen alleine in Cafés sitzen, und dies bis spät in die Nacht.

Ein wenig weiter entfernt findet ein Kinderfest statt, so wie es auf dem Gelände auch mehrere Spielplätze gibt. Für die Kleinen ist die Geschichte, von der das “Rote Gebäude” und das Denkmal für das Massengrab erzählen, lang vergangene Vergangenheit. Schon wer jetzt in Suleymaniah in den Zwanzigern ist, kann sich kaum mehr vorstellen, dass hier einst erst Angst und Terror herrschten und dann Bürgerkrieg und bittere Armut. Auch dies ist ein Zeichen, wie schnell Veränderungen in dieser Region der Welt vonstattengehen können.

Und gerade angesichts all der furchtbaren Meldungen, die einen täglich aus dem Nahen Osten erreichen und ebenso hiesige Realität sind, ist es wichtig, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass Veränderung zum Besseren eben auch möglich sind, sie es nur selten in die Schlagzeilen schaffen.

Selbstverständlich könnte ich nun einen Bogen schlagen zur elenden Realität etwa in den Flüchtlingslagern, die überall weiter existieren und in denen zehn Jahre nach dem Völkermord durch den Islamischen Staat Hunderttausende Jesidinnen und Jesiden weiter eine perspektivlose Existenz fristen müssen. Ich könnte auch darauf verweisen, was es alleine bedeutet, bei diesen Temperaturen in einem solchen Lager leben zu müssen, aber all dies scheint schon sehr fern, wenn man nur einen Nachmittag hier im Azadi-Park verbringt.

Im Folgenden möchten wir drei Mitarbeiterinnen bzw. Partner von Wadi im Irak und Griechenland zu Wort kommen lassen, die aus einigen von uns unterstützten Projekten berichten.

Über alle unsere Kampagnen, Programme und Projekte können Sie sich auch jederzeit auf unserer Webseite informieren.

Wir wünschen Ihnen einen schönen Sommer und bedanken uns herzlich für die bisherige Unterstützung – nicht ohne den Verweis allerdings, dass Ihre Spende auch dieses Jahr einen wichtigen Unterschied macht oder machen könnte.

Thomas v. der Osten-Sacken

– Geschäftsführung