Rundbrief 07/2015: „Ende der Geisterstunde“

Aus der Einleitung des neuen Wadi-Rundbriefes:

rb-sommer-2015Dennoch ist es der Aufstand der Menschen im Mashreq und Magreb, der als Farce wahrgenommen wird, und nicht dessen Unterdrückung, weshalb die selbsternannten Experten nicht müde werden, im Namen des Weltfriedens für den Fortbestand der Diktaturen zu werben. Die durch sie verbreitete Vorstellung, dass die Widersprüche des Vorderen Orients nur von einem starken Staat gebändigt werden könnten und dessen Schwächung zwangsläufig Gewalt statt Freiheit und Demokratie hervorbringe, fußt zwar einerseits auf der gewalttätigen Geschichte der Region. Sie ist zugleich aber auch ein Betrug an dieser Geschichte, in der der Westen blindlings immer die Falschen unterstützte und mit Waffen- und Wirtschaftshilfe dafür sorgte, dass eine andere Alternative als die islamische sich über Jahrzehnte nicht durchsetzen konnte. Den Hunderttausenden aber, die als Menschenmaterial in Minenfelder gejagt und mit chemischen Kampfstoffen vergiftet wurden, in ihren Wohnungen ausgebombt und auf den Straßen von Panzern niedergewalzt, von den unzähligen Geheimdiensten und Milizen verhaftet, gefoltert und ermordet wurden, ihnen muss diese Wahrnehmung wie Hohn erscheinen. Denn es waren nicht die Menschen, sondern die Sultane und Präsidenten, die Generäle und großen Vorsitzenden, die Ayatollahs und Muftis, die Heer- und Revolutionsführer, die auf jede gesellschaftliche Umwälzung, die ihnen in ihren Pfründen bedrohlich schien, mit grausamer Gewalt reagierten. Die Geschichte des Vorderen Orients ist eben keine Geschichte gewalttätiger Völker, sie ist eine Geschichte der Unterdrückung. Die islamistischen Milizen und Banden, die Kämpfer der Hisbollah und die Revolutionsgardisten des Iran, die von Bagdad über Damaskus bis nach Gaza ihr schmutziges Handwerk verrichten, sind nicht Teil des Aufstands, sondern nur die neuen, islamisierten Akteure der alten Unterdrückung. Nur wer diesen Befund leugnet, kann Geschichte aus dem Ohrensessel des Gelehrten heraus betrachten und glauben, nicht Stellung zu beziehen. Wer in der scheinbaren Farce aber die Tragödie erkennt, kann wiederum nicht neutral bleiben.

Entwicklungszusammenarbeit ist niemals neutral. Diese Erkenntnis stand am Anfang der Arbeit von WADI. Anfang der Neunziger Jahre haben wir die Arbeit im kurdischen Nordirak aufgenommen, weil die scheinbar neutrale Nothilfe im restlichen Irak bedeutete, mit dem Regime Saddam Husseins zu kooperieren, das Hunderttausende Irakis ermordet hatte. WADI war und ist parteiisch: Wir unterstützen damals wie heute jene, die sich gegen das Diktat einer Regierung, Partei oder Bewegung für eine bessere Zukunft einsetzen und selbst aktiv werden. Diese Arbeit ist so erfolgreich, weil den Menschen vor Ort, anders, als ihnen hierzulande gerne unterstellt wird, so viel an ihren Rechten, an Möglichkeiten der Partizipation und letztlich an ihrer Freiheit liegt.

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