Rundbrief 07/2016: „Plan und Wirklichkeit der humanitären Hilfe“

Aus dem neuen Rundbrief:

rb-2016-summerWie widersprüchlich der Segen internationaler Hilfe sein kann, haben wir im vergangenen Jahr selbst erfahren müssen. Seit der sog. Islamische Staat (Dae’sh) im August 2014 Mossul und die umliegende Region überrannte, kümmern wir uns nicht nur um Flüchtlinge aus der Region, sondern vor allem auch um die ezidischen Mädchen und Frauen, die von den Kämpfern des Dae’sh verschleppt und vergewaltigt, zum Teil als Beute verschenkt, zum Teil als Sklavinnen verkauft wurden. Bereits wenige Wochen nach dem Einmarsch der Islamisten zeichnete sich ab, dass es sich dabei nicht um Einzelfälle, sondern um ein systematisches Vorgehen handelte, ein Kriegsverbrechen mit sexueller Gewalt, dem etwa 5.000 Frauen und Mädchen zum Opfer fielen. Seitdem kümmern wir uns um jene, die zurückkehren und weiterzuleben versuchen – einige sind geflohen, andere wurden freigekauft – mit mobilen Teams in den Flüchtlingscamps und seit August 2015 mit dem Jinda Zentrum in Dohuk.

Seit Herbst 2014 haben wir uns um Förderung für ein Zentrum bemüht, in dem die Frauen und Mädchen Betreuung und Hilfe erhalten. Die Antragstellung beim UN-Kinderhilfswerk UNICEF, durch das Jinda schließlich mitfinanziert wurde, erforderte acht volle Monate, in denen immer wieder nachgebessert, verhandelt und neugeplant werden musste.

 

‚Wir sind geblieben und haben die Projekte mit den Menschen vor Ort begleitet. Fünfzehn Jahre lang haben wir die Frauenzentren, Alphabetisierungsklassen und Schutzhäuser für Opfer familiärer Gewalt begleitet und unterstützt, wann immer dies notwendig war. Daraus sind andere Initiativen entstanden.‘

In diesem Frühjahr ist die Förderung ausgelaufen, eine Nachfinanzierung war nicht möglich. Die Mittel, mit denen UNICEF das Projekt förderte, stammten aus Soforthilfemaßnahmen europäischer Staaten, mit denen auf die akute Krise im Jahr 2014 reagiert wurde. Bereits Anfang 2015 waren die Gelder größtenteils versiegt. Die Krise war längst von einer anderen abgelöst worden. Für die Ezidin, die vor dem Dae’sh flohen, nach wie vor unter erbärmlichsten Bedingungen in Lagern oder unter Brücken leben, hatten die Geberländer kein Geld mehr über. Seit diesem Jahr finanzieren wir den Unterhalt von Jinda selbst – mit Privatspenden.

Nicht viel besser erging es der Kampagne gegen Genitalverstümmelung im Irak, die weithin Beachtung fand und als ein erfolgreiches Beispiel für die zivilgesellschaftliche Intervention für Frauen- rechte gilt. Mit dem Auftauchen des Dae’sh haben sich auch die Prioritäten der internationalen Hilfsprogramme und -strategien verschoben. Galt noch vor wenigen Jahren »Gendermainstreaming« als Zauberwort aller Hilfsprogramme, mit dem Resultat, dass es auf dem Papier praktisch kein Projekt mehr gab, dass sich nicht der Stärkung der Frauenrechte verschrieben hatte (und wenn es auch nur um einen Dorfbrunnen ging), geht es heute praktisch nur noch um die Versorgung von Flüchtlingen. Im Ergebnis sind praktisch die gesamte Förderung der Kampagne durch große Hilfswerke und die Vereinten Nationen mit dem Ende des vergangenen Jahres weggefallen.

Dass unsere gemeinsam mit unseren lokalen Partnern durchgeführten Projekte dennoch größtenteils fortbestehen, ist einerseits privaten Spendern zu verdanken, andererseits der besonderen Struktur von »WADI« im kurdischen Nordirak. Anders als viele Hilfsorganisationen haben wir vor vielen Jahren bereits begonnen, lokale Initiativen zu stärken und anstelle der Hilfsprofis »from abroad« lokale Aktivist*innen die Arbeit planen und durchführen lassen. Wo immer es ging, sollten aus den Projekten eigene Initiativen entstehen, denen wir halfen, selbst Fördermittel zu akquirieren, um sukzessive unabhängig zu werden. Daraus sind erfolgreiche Initiativen entstanden wie die Frauenrechtsorganisation WoLA oder die Nwe-Organisation in Halabja. Damit zusammen hängt auch das besondere Verhältnis, das unsere Mitarbeiter zu WADI und ihrer Arbeit haben. Vom Fahrer bis zur Buchhalterin sind unsere Mitarbeiter von dem, was sie tun, überzeugt.

Das wiederum geht nur, weil wir schon lange vor Ort sind – und auch dann nicht aufgegeben haben, als keine Gelder flossen oder das Außenamt mal wieder sehr dringend vor Reisen in die Region warnte. In den Neunzigern war die Projektarbeit in Irakisch-Kurdistan tückisch. Die großen Hilfswerke waren bald nach Krieg und Flüchtlingskrise wieder abgezogen und hatten tausende halb verfallene »Prefabs«, wie die Fertigbauhütten für Flüchtlinge heißen, hinterlassen, ein paar kaputte Straßen und einen Fuhrpark weißer Geländewagen für die Milizionäre der Parteien. Die lokale Verwaltung lag darnieder, Projektmittel gab es kaum. Die seitdem für WADI prägende Arbeitsstruktur hat sich auch aus der Not der Stunde entwickelt, denn mit 5.000 mit großem Aufwand zusammen- gesammelten Dollars in der Tasche entwirft man keine Milleniumsziele, sondern sucht vor Ort nach einer möglichst effizienten Verwendung. Wer von uns gefördert wurde, musste daher vieles auch selbst leisten. Geländewagen, Büros mit Aircondition und Schreibtische mit geschnitzten Kugelschreiberhaltern gab es nicht – und oft genug auch kein Gehalt. Dafür sind wir geblieben und haben die Projekte mit den Menschen vor Ort begleitet. Fünfzehn Jahre lang haben wir die Frauenzentren, Alphabetisierungsklassen und Schutzhäuser für Opfer familiärer Gewalt begleitet und unterstützt, wann immer dies notwendig war. Daraus sind andere Initiativen entstanden.

Wer will, kann das »nachhaltig« nennen oder sich einen anderen Trendnamen ausdenken. Unser Fahrer Akram, der seit den Neunzigern bei uns ist, nennt es »wadi’ism«. Als es in diesem Frühjahr plötzlich eng wurde und Gelder fehlten für die Betreuung ezidischer Familien, haben er und weitere Mitarbeiter angeboten, auf einen Teil ihres Lohnes zu verzichten, damit die Hilfe weitergeht. Bislang hat das geklappt. Auch ohne die Anschlussfinanzierung haben wir das Jinda-Zentrum weiterführen können. Doch es fehlt an vielem und an allen Ecken und Enden muss gespart wer- den. Die Lehrer der Afrin-Schule für syrische Flüchtlingskinder erhalten nach wie vor kein Gehalt – weil sich keine Stiftung und kein Programm findet, die Flüchtlingen, die für andere Flüchtlinge hart und professionell arbeiten, wenigstens symbolisch entlohnen möchte. Die mobilen Teams der Stopp-FGM Kampagne sind auf ein Minimum heruntergefahren worden, weil Frauenrechte auf NGO-Konferenzen zwar stets en vogue sind, in Krisenzeiten aber als nebensächlich ignoriert werden, obwohl der sexualisierte Feldzug der Djihadisten im Irak nur allzu deutlich zeigt, wie eng beides miteinander verknüpft ist.

Wir bleiben trotzdem. Und die gemeinsam mit unseren Partnern und Freunden vor Ort initiierten und unterstützten Projekte lassen wir auch nicht im Stich. Versprochen.

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