Wadi hat geholfen, das Programm ins Leben zu rufen.
Eine Gruppe von Journalistinnen im kurdischen Nordirak erhält den diesjährigen Raif Badawi Preis für den »mutigen Einsatz« von Journalistinnen und Journalisten für die Meinungsfreiheit in der arabischen Welt. Die jungen Frauen betreiben gemeinsam ein Radioprogramm von Flüchtlingen für Flüchtlinge in der kurdischen Stadt Halabja.
»Wir bewundern den Mut und das Engagement der jungen Frauen, die sich Journalismus in Eigenregie angeeignet haben«, heißt es in der Begründung. Der Preis wurde nach dem saudischen Oppositionellen und Blogger Raif Badawi benannt, der aufgrund seiner Berichterstattung zu zehn Jahren Haft und 1.000 Peitschenhieben verurteilt wurde. Ins Leben gerufen wurde der Preis von der Organisation International Media Alliance (IMA) gemeinsam mit der Ehefrau des inhaftierten saudischen Bloggers, Ensaf Haidar, um JournalistInnen zu würdigen, die »unter höchstem persönlichem Engagement gesellschaftliche Debatten anstoßen«. Der Preis wird am 19. Oktober bei der Frankfurter Buchmesse übergeben.
Über den diesjährigen Preisträger freuen wir uns besonders. Das Refugee for Refugee Radio-Programm ist Teil des unabhängigen lokalen Radiosenders Dange Nwe, an dessen Gründung WADI vor über zehn Jahren mitgewirkt und den wir seitdem kontinuierlich unterstützt haben. Das nunmehr ausgezeichnete Programm für Geflüchtete wird von WADI unmittelbar gefördert. Der Preis unterstreicht, wie wichtig unabhängige lokale Medien in der Region sind, um die Entwicklung ziviler Strukturen zu fördern.
Refugee for Refugee Radio
In den vergangenen Jahren konnte der Sender aus Halabja Zehntausende ZuhörerInnen für sich gewinnen. Das Radio versorgt die Region mit unabhängigen Nachrichten und Beiträgen über Demokratie, häusliche Gewalt, Partnerschaft, Scheidung, Familienplanung, Zwangsehen, Genitalverstümmelung und Ehrenmorde. Seit Februar 2016 wird hier auch das Programm »Flüchtlinge für Flüchtlinge« produziert und ausgestrahlt. In der Umgebung von Halabja befinden sich vier Flüchtlingslager, in denen das Programm des Senders gern gehört wird. Doch auch außerhalb der Lager leben viele Flüchtlinge und Vertriebene; auch sie gehören zur unmittelbaren Zielgruppe.
Das Flüchtlingsradio ist hervorgegangen aus einer Kampagne, die Flüchtlinge und EinwohnerInnen Halabjas zusammenbringt und viele gemeinsame Aktivitäten anbietet: von Handarbeits- und Computerkursen über Veranstaltungen zu Gesundheit und Ernährung bis hin zu Englischkursen. Vor etwa einem Jahr hatten die drei jetzt ausgezeichneten Journalistinnen die Idee, ein eigenes Radioprogramm ins Leben zu rufen. Unterstützt wurden sie dabei von Dange Nwe und WADI mit einem Trainingsprogramm, Equipment und eigenen Sendezeiten.
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»Zielgruppe« Flüchtlinge
Das Programm richtet sich an Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak, die im kurdischen Nordirak Aufnahme gefunden haben. Über anderthalb Millionen Flüchtlinge und intern Vertriebene aus dem Irak und Syrien leben offiziellen Angaben zufolge in der kurdischen Autonomieregion. Mit jeder neuen militärischen Auseinandersetzung kommen mehr Menschen. Die kurdische Regionalregierung ist angesichts der großen Zahl von Hilfsbedürftigen längst überfordert. In den Flüchtlingslagern mangelt es am Notwendigsten und viele Flüchtlinge und intern Vertriebene suchen außerhalb der Lager Unterschlupf. Unter den gegebenen Bedingungen gibt es für die wenigsten eine soziale Perspektive – und das, obwohl absehbar ist, dass viele von ihnen nicht in absehbarer Zeit in ihre Heimat zurückkehren können.
An diese Flüchtlinge richtet sich das Programm der drei Journalistinnen: Haneen Hassan aus dem zentralirakischen Falluja, Hivy Ahmed aus dem nordsyrischen Kobane und Shadan Habib aus Halabja. Mit Interviews, Tipps und Hinweisen, Hintergrundberichten und Kommentaren begleiten sie das Leben der Flüchtlinge aus allen Regionen. Das Programm ist überkonfessionell und mehrsprachig – es richtet sich an Kurden aus Syrien und dem Irak sowie an schiitische und sunnitische Araber aus dem Irak und aus Syrien und gibt ihnen eine Stimme.
Lokale Initiativen stärken
Der Erfolg des Radios darf nicht darüber hinwegtäuschen: Es bedarf weit größerer Anstrengungen, um den Menschen vor Ort eine Perspektive zu geben. Aus dem Irak und Syrien fliehen Menschen vor Krieg und elenden Lebensbedingungen – aber sie fliehen auch vor politischer Perspektivlosigkeit und Unterdrückung. Erst wenn sie eine Chance bekommen, ihr Leben selbst zu gestalten, ohne verfolgt, unterdrückt und vertrieben zu werden, kann von einer echten Perspektive gesprochen werden. Für diese Chance streiten die ausgezeichneten Journalistinnen – und für diese Chance tun Deutschland und Europa nach wie vor nicht genug.
Berlin und Suleymaniah den 27.09.2016