Die Wadi-Mitarbeiterin Kurdstan Rasul betreut die Anti-FGM-Kampagne in Arbil und beschäftigt sich schon seit längerer Zeit mit der schlechten medizinischen Versorgungssituation von Frauen in Kurdistan. Die Probleme sind vielfältig, hängen mit der gesellschaftlichen Stellung von Mann und Frau zusammen und sind letztlich nur lösbar, wenn ein gesamtgesellschaftliches Umdenken stattfindet.
Von Kurdstan Rasul, Wadi-Arbil, 10.08.2017
Am Tagesende, übermüdet und überarbeitet, denke ich an die Frauen, die dringend einen Arzt brauchen, sich aber keinen leisten können; oder an die, die keine Klinik in ihrem Dorf haben; an die, deren Ehemänner sie nicht zum Arzt bringen; an die, die durch die schlechte Behandlung ihrer Männer krank geworden sind. Es zerreißt mir das Herz, wenn mich diese Frauen unter Tränen darum bitten, sie zur Behandlung zum Gynäkologen zu bringen. Denn manchmal bin ich nicht in der Lage, ihnen das zu geben, was sie brauchen.

Dr. Shazeh, eine der freiwilligen Ärztinnen
Kürzlich wurde einer Patientin verordnet, sie dürfe wegen ihrer gesundheitlichen Probleme auf keinen Fall mit ihrem Mann schlafen – aber die Chancen, dass sie den Rat ihrer Ärztin befolgen kann, stehen sehr schlecht, denn sie wird von ihrem Ehemann brutal vergewaltigt. Gesellschaftliche Stigmata führen dazu, dass Frauen Hemmungen haben, ihre medizinischen Probleme mit männlichen Ärzten zu besprechen, wodurch ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt wird.
Beunruhigend ist auch, dass viele Frauen nicht in der Lage sind, ihre Gefühle oder medizinischen Probleme mit ihrem Partner zu diskutieren, aus Angst vor dessen Reaktion. Sie könnten beschimpft und getriezt werden, und es besteht immer die Gefahr, dass der Mann sich eine zweite Frau nimmt. „Frauen können ihren Schmerz nicht zeigen, weil ihre Männer die Situation ausnutzen, um sich eine zweite Frau zu nehmen. Deshalb zwingen die Frauen sich zu einem Lächeln, um ihre Männer zufriedenzustellen“, sagt eine Dorfbewohnerin.
Viele Frauen beklagen, dass sie keinen Arzt erreichen können, weil sie weit weg von der nächsten Stadt sind und es keine Ambulanz gibt. Viele junge Frauen mit gynäkologischen Problemen können wegen der Stigmatisierung nicht darüber sprechen und erhalten keine Behandlung. Eine solche Situation kann schnell dramatisch werden, wie im Fall von R., die erst 27 ist und bei der vor vier Jahren Brustkrebs diagnostiziert wurde. Ihre Verwandten sagen, dass R. es nicht wusste, denn der Arzt schickte sie nach Hause. Ihr wurde erst so spät geholfen, dass man nun nichts mehr machen kann, um den Krebs aufzuhalten.
Nachdem ich all dies mitbekommen hatte, fasste ich im Juli 2017 den Entschluss, in Erbil ein ehrenamtliches Projekt für Gesundheitsaufklärung zu starten. Ich will für die Frauen Leid und Schmerzen verringern. Ich will, dass Ärzte mehr über ehrenamtliche Arbeit erfahren, damit es zu einem Phänomen wird, dem sich andere anschließen werden.
Ich will, dass Ärzte sich bei Hausbesuchen ihren Patienten zuwenden, nicht nur hinter ihren Schreibtischen. Ich will, dass sich Patienten respektiert fühlen, das Gefühl haben, dass ihr Arzt sie wertschätzt und weite Wege auf sich nimmt, um ihnen zu helfen – im Gegensatz zu ihren Ehemännern und Verwandten, die nicht helfen, obwohl sie direkt nebenan sitzen.
Dies ist Wadis Botschaft:
„Wenn man eure Frauen nicht hört, habt ihr keinen Wert als Menschen und Bürger. Es müssen Ärzte zu euch kommen und euch helfen.“
Ich habe detaillierte Informationen bezüglich der medizinischen Lage gesammelt und sie schließlich dem Gesundheitsminister vorgelegt.
Er bedankte sich bei Wadi dafür, immer wieder gute Ideen zu bringen, um die Menschen zu unterstützen: „Wir werden versuchen, Ärztinnen in die Dörfer und Unterbezirke zu schicken. Wenn es unterstützt wird, können wir ein mobiles Ärzteteam einrichten. Wir verstehen, dass der gesundheitliche Zustand der Frauen schlecht ist. Aber der Einfluss des Ministeriums ist begrenzt.“
Zum Glück haben einige junge Ärztinnen den Aufruf gehört und sich dem Projekt angeschlossen, aber das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn sich die Dinge nicht drastisch verändern.