Die ‚Achse des Terrors‘ im Nahen Osten

Seit dem Angriff der Hamas auf Israel treten auch die Islamische Republik Iran und ihre Stellvertreter in der Region noch aggressiver auf. Das langfristige Ziel ist es, die USA zum Rückzug aus dem Nahen Osten zu zwingen.

Von Oliver M. Piecha, Jungle World, 10.02.2024

pariran

Der Nahe Osten ist ein schwieriges Pflaster für Optimisten, aber eine solche Konjunktur apokalyptischer Erwartungen wie derzeit hat es selten gegeben. Vor dem großen Krieg im Gefolge des Hamas-Angriffs vom 7. Oktober warnen praktisch alle, ob US-Außenminister Antony Blinken oder die iranische Führung. Das Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) der Vereinten Nationen mahnt, seit dem Jahr ihrer Gründung, 1991, sei die Lage im Nahen Osten »nie schlimmer ge­wesen«. Das OCHA benennt vier regionale Katastrophengebiete – Jemen, Sy­rien, Libanon und den Gaza-Streifen –, für die die verfügbaren Hilfsressourcen schon jetzt nicht mehr ausreichen.

Die Verbindung zwischen den genannten humanitären Katastrophengebieten ist augenfällig: Sie bilden die Haupteinflusszone der Islamischen Republik Iran und ihre Aufmarschgebiete gegen Israel. Nur der Irak fehlt in der Aufzählung, aber eine Ausweitung und Intensivierung der militärischen Auseinandersetzungen in der Region könnte auch dieses Land wieder in Chaos und Elend stürzen. An der Seite der Islamischen Republik zu stehen, ist offenbar ein effektives Rezept, um Zukunftsaussichten zu ruinieren.

Der Iran braucht den israelisch-palästinensischen Konflikt, und er braucht Krisenzonen, in denen seine Verbündeten und von ihm abhängige Milizen agieren können.

Der Angriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober hat das Potential, die Verhältnisse im Nahen Osten ins­gesamt ins Rutschen zu bringen. Der Möglichkeit eines verheerenden, die ganze Region umfassenden Krieges steht perspektivisch die einer grundsätzlichen Neuordnung der palästinensischen Verhältnisse gegenüber. Beide Varianten wären für die Islamische Republik desaströs. Was wäre eine iranische »Achse des Widerstands«, die sich ideologisch und propagandistisch auf die Bekämpfung Israels fixiert hat, ohne palästinensischen Klienten?

Der Iran braucht den israelisch-­palästinensischen Konflikt, und er braucht Krisenzonen, in denen seine Verbündeten und von ihm abhängige Milizen agieren können, während er selbst alle Verantwortung von sich weisen kann. Das Ziel ist der Rückzug der USA aus dem Nahen Osten und damit die Stärkung der eigenen hegemonialen Ansprüche.

Iranisches Regime in keiner guten Verfassung

Allerdings befindet sich das iranische Regime in keiner guten Verfassung, und die Spannungen in der Region weiter zu erhöhen, birgt immense Risiken. Die Wirtschaftslage des Iran ist desaströs und das politische System mittlerweile so weit diskreditiert, dass es bei der anstehenden iranischen Parlamentswahl im März schon gar nicht mehr darum geht, wer gewinnt oder verliert – zugelassen zu den Wahlen sind sowieso nur noch Vertreter der engeren Machtelite um die Revolutionsgarden und den Obersten Führer Ali Khamenei. Einzig die offizielle Höhe der Wahlbeteiligung ist noch von symbolischem Interesse, droht die tatsächliche doch unter zehn Prozent zu rutschen.

Von der Wahl des Expertenrats, des Gremiums, das einmal die Nachfolge des Revolutionsführers bestimmen wird, ist nun sogar der frühere Präsident Hassan Rohani als Vertreter der ­sogenannten Reformer ausgeschlossen worden. Das Regime schottet sich rigoros ab und macht keinen Hehl daraus. Es hat die Protestwelle des Herbsts und Winters 2022/2023 zwar überstanden, so wie die früheren, aber es weiß, die nächste Protestwelle wird kommen. Also exekutiert man zur Abschreckung verhaftete Demonstranten. Im vergangenen Jahr hat der Iran nach UN-Angaben mindestens 600 Menschen hin­gerichtet, so viele wie seit Jahren nicht mehr. Wie die Bevölkerung sich allerdings bei einer dramatischen Verschärfung der Lage verhalten würde, etwa im Falle eines Kriegs, bei dem der Iran selbst zum Ziel werden könnte, das weiß niemand.

Die Islamische Republik befindet sich in einer strukturellen Dauerkrise, doch hat das Regime in Teheran eine gewisse Meisterschaft darin gewonnen, Herausforderungen unter immer schlechteren Voraussetzungen zu bewältigen und dabei sogar strategische und taktische Gewinne zu erzielen. Auch in der gegenwärtigen Krise hat es der Iran bisher geschafft, einerseits nicht unmittelbar in den Konflikt einzutreten, diesen aber trotzdem gezielt zu eskalieren und die USA in eine gefährliche Situation zu bringen. Stets geht es darum, die USA mit einer weiteren und erneuten Verwicklung in Konflikte zu bedrohen. Der Iran hat gleich mehrere regionale Kampfarenen eröffnet: Da werden Schiffe im Roten Meer an­gegriffen, es gibt Schusswechsel über die libanesisch-israelische Grenze ­hinweg und im Irak werden US-Stützpunkte mit Raketen beschossen.

Das Eskalationsrisiko steigt

Das erhöht jedoch ständig die Gefahr von Konsequenzen, die auch der Iran nicht mehr kontrollieren kann. So wie am Sonntag, als bei einem Drohnenangriff auf einen US-Außenposten an der jordanischen Grenze zu Syrien drei US-Soldaten getötet und über 30 verwundet wurden. Der symbolische Beschuss von US-Anlagen zieht eine militärische Reaktion der USA nach sich. Doch das Töten von US-Soldaten durch eine vielleicht etwas übereifrige proiranische Miliz überschreitet eine rote Linie. Das Eskalationsrisiko steigt auch, wenn der Iran selbst angreift, anstatt sich auf Stellvertreter zu verlassen, wie es beim Raketenangriff der iranischen Revolutionsgarden auf Ziele im Nordirak, in Syrien und Pakistan am 16. Januar der Fall war.

Am gefährlichsten ist für den Iran der Umgang mit der Hizbollah; die militärisch mächtigste und mit Abstand älteste der vom Iran abhängigen Milizen, darf sich nicht zu weit vorwagen, sonst wird Israel Krieg gegen sie führen. Außerdem hat sie ein ähnliches Problem wie die iranische Führung: Der Libanon ist ein wirtschaftlich und politisch zerrüttetes Land, in dem jede Eskala­tion des Konflikts unkalkulierbare Folgen haben könnte.

Das syrische Regime unter Präsident Bashar al-Assads braucht ständige Unterstützung vom Iran, um zu überleben. Syrien dient vor allem als Transitroute und Hinterland für die Hizbollah, doch die israelische Luftwaffe kann hier mehr oder minder ungehindert angreifen. Dabei werden auch sehr hochrangige Befehlshaber der iranischen Revolutionsgarden gezielt getötet, offenbar ohne dass der Iran etwas dagegen unternehmen kann. Zuletzt traf es ­Mitte Januar in Damaskus den iranischen Geheimdienstchef für Syrien, Sadegh Omidzadeh, offenbar mit Teilen seines Stabes und ­syrischen Kontaktleuten.

Die Kurden wären unter den ersten Leidtragenden eines US-Abzugs

Im Irak sichert der Iran seinen Einfluss mit Hilfe von Milizen der sogenannten Volksmobilisierungskräfte, die immer mehr zu einer Art Staat im Staate werden. Mit den steten Anschlägen dieser Milizen auf die US-­Basen im Nord­irak verfolgt der Iran vor allem das Ziel, die USA zum Rückzug aus dem Irak zu bewegen. Damit zwangsläufig verbunden wäre auch ein Abzug des kleinen US-amerikanischen Kontingents aus dem kurdischen Teil Syriens.

Die irakische Regierung äußert zwar seit langem den Wunsch, dass die US-Amerikaner endlich abziehen; doch ist es allein die Möglichkeit, die US-ame­rikanischen und iranischen Interessen gegeneinander auszuspielen, die ihr noch eine gewisse Unabhängigkeit vom Iran bewahrt. Das zeigte sich deutlich, als der Irak nach dem iranischen Raketenangriff auf den Nordirak Mitte Januar seinen Botschafter in Teheran aus Protest zurückberief. Bei dem Angriff, der sich angeblich gegen eine »Spionagezentrale des Mossad« richtete, wurde unter anderem Peshraw Dizayee getötet, einer der reichsten kurdischen Geschäftsmänner, dessen Firmenimperium der im Norden des Irak herrschenden Demokratischen Partei Kurdistans (KPD) sehr eng verbunden ist.

Die Kurden, sowohl die im Nordirak als auch die in Syrien, wären unter den ersten Leidtragenden eines US-ame­rikanischen Abzugs. Ein solcher ist keineswegs unvorstellbar: Die USA ziehen sich langsam, aber kontinuierlich seit mindestens 15 Jahren aus dem Nahen Osten zurück. Vergangene Woche machte der gewöhnlich gut informierte Nahost-Analyst Charles Lister entsprechende interne Diskussionen der US-Regierung über einen Rückzug aus Syrien und dem Irak öffentlich.

Die Houthis sind die neuen Posterboys der »Achse des Widerstands«. Sie posieren als Kämpfer in Sandalen und sind vom Iran mit effizienten und vergleichsweise günstigen Raketen und Drohnen ausgerüstet worden.

Den größten und wichtigsten Beitrag zum strategischen Gewicht des iranischen Regimes liefern derzeit die Houthis mit ihrem Angriff auf die Schifffahrt im Roten Meer und damit auf den Welthandel. Das zeigen auch die Luftangriffe Großbritanniens und der USA auf Stützpunkte und Raketenstellungen der Houthis. Dabei ist klar, dass die Houthis mit ihrem Kerngebiet im unwegsamen Nordjemen für solche Attacken aus der Luft recht unempfindlich sind, das haben bereits die langjährigen Luftangriffe Saudi-Arabiens bewiesen.

Die Houthis sind die neuen Posterboys der »Achse des Widerstands«. Sie posieren als Kämpfer in Sandalen und sind vom Iran mit effizienten und vergleichsweise günstigen Raketen und Drohnen ausgerüstet worden. Auch wenn sie sich vollmundig als Unterstützer der Palästinenser inszenieren, haben sie auch ihre eigenen Interessen im Blick: Der jemenitische Konflikt ist seit rund zwei Jahren eingefroren, aber nicht gelöst.

Jenseits der spektakulären Angriffe auf die internationale Schifffahrt haben die Houthis nun wieder mit Scharmützeln im vergessenen Hinterland der Provinzen Marib und Shabwa begonnen. Wer im Westen würde diese Gegenden auch nur auf einer Landkarte finden? Die Houthis aber machen der Welt und vor allem ihren reichen Ölnachbarn klar, dass sie eine nicht mehr zu ignorierende Macht auf der arabischen Halbinsel darstellen.