Früher war Gips ein vielseitiger verwendeter Baustoff in Irakisch-Kurdistan. Im Zeitalter des Zements hat sich das drastisch geändert. Ein neues Projekt soll den alten Baustoff nun revitalisieren.

Steine werden gemahlen, Bilder: Wadi e. V.
Erinnerung und Kulturerhalt gehören eng zusammen. Seit vielen Jahren unterstützt WADI Projekte zum Umgang mit Erinnerung und traumatischen Erlebnissen: In Halabja durch einen Erinnerungspfad mit in der Stadt verteilten Schautafeln zu wichtigen Orten, die an den Giftgasangriff, aber auch an bedeutende Orte und Menschen in der Stadt erinnern, in Goptepe durch ein lokales Fotoarchiv. In Koya unterstützt WADI das Department of Antiquities in Koya bei der Dokumentation und dem Erhalt ihrer historischen Altstadt, die als Ensemble außergewöhnlich in Irakisch-Kurdistan ist.
Gips war in der Vergangenheit einer der wichtigsten Baustoffe in der Region um Koya in Irakisch-Kurdistan. Durch die Verwendung des billigeren Zements ist er jedoch als Mörtel fast in Vergessenheit geraten, ein Problem, mit dem aktuelle Restaurierungsprojekte in der Altstadt von Koya zu kämpfen haben. Gips wird heutzutage nur noch als Gipsputz verwendet, der eine andere, einfachere Produktionsweise erfordert.
WADI e.V. und Klessing-Hoffschildt Architekten, in Kooperation mit dem General Director of Antiquities in Erbil, Kaify Mustafa Ali, und dem Department of Antiquities in Koya (Yekaty Wahip und Hemin Kawez) haben deshalb mit großzügiger Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung begonnen, diese alte Handwerkstradition zu revitalisieren.
Es begann im März 2024 mit einem Survey der Steinbrüche in der Region, gemeinsam mit Manar Ahmad der Universität Koya, Shireen Younis der Universität Dohuk und dem Geologen Michael Krempler, um Steinbrüche guter Qualität auszuwählen, die zudem über nahegelegene, ungenutzte Gipsbrennöfen verfügen.
Nach vielen Verhandlungen konnte dann ein Brennplatz in der Nähe von Koya übernommen werden, der zudem über einen reichen Steinbruch verfügt. Drei Brennkammern wurden gemeinsam mit Kak Salim, einem erfahrenen alten Gipsbrenner, instandgesetzt und dann, auf experimenteller Basis in neuer Gipsbrennprozess begonnen.
Ziel war es, einen Gips mit hohen Temperaturen zu brennen und im Mahlprozess eine breite Verteilung von feinen und groben Teilen zu erreichen. Die Analyse historischer Gipsmörtel aus dem Mahmud Agha Khan in Koya (1860 n.Chr.) gab uns die Vorgaben, die es nun experimentell zu erreichen galt, lokale Erfahrungen, Gips mit hohen Temperaturen zu brennen, liegen seit vielen Jahren brach – Kak Salim arbeitet beispielsweise seit über 20 Jahren nicht mehr in diesem Bereich.
Die Herausforderung begann mit dem Erwerb, der nötigen Ausstattung: einem alten Truck, dessen Antriebswelle zum Betrieb der Steinmühle benötigt wird, die Restaurierung einer altem seit vielen Jahren ungenutzten Steinmühle, die richtige Justierung des Brenners: eine Mischung aus Diesel und Altöl, deren Flamme mit Hilfe von Druckluft reguliert wird.
Der Brennprozess selbst ging dann relativ schnell, an einem Tag (ca. 9 h) wurden die zu einem falschen Gewölbe aufgeschichteten Steine gebrannt, dann folgte ein Tag zum Abkühlen, am dritten Tag wurden die Steine gemahlen und in Säcke verpackt.
Zur Langzeitbeobachtung wurde dann eine zerstörte Rückwand des Khans wieder aufgebaut, die nun als Open-Air-Testareal dient.
Vier Wochen später fand der Gips bereits praktische Anwendung: Das Department of Antiquities in Koya begann, das Haus Malai Gawra in der Altstadt zu restaurieren und nutzte gleich den neuen Gipsmörtel, sehr zur Begeisterung der involvierten Maurer, die seine Qualität hoch lobten.
Auch die in Deutschland und Koya durchgeführten Analysen und Test bestätigten die Qualität unseres neuen Mörtels, auch wenn er noch die Werte des historischen Mörtels aus dem Khan erreicht. Aber vielleicht braucht es dafür noch etwas Zeit, Gipsmörtel wird im Laufe der Jahre besser, wie guter Wein.