Griechische Tragödie: Moria und der War on Refugees

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Moria 2.0: Das Karate Tepe Camp auf Lesbos im November 2021, Bild: Moria White Helmets

Diagonal, ein Magazin des österreichischen Radios Ö1, brachte gestern eine Sendung zum Thema „Griechenland – über die Erfindung der Tragödie“, in der auch der Geschäftsführer von Wadi, Thomas von der Osten-Sacken zu Moria und der Situation von Flüchtlingen zu Wort kommt.

Seit Jahren unterstützt Wadi Flüchtlingsselbsthilfe auf den griechischen Inseln.

Hier ein paar Auszüge aus der Sendung mit Zitaten von von der Osten-Sacken:

„Zwar sind heute viel weniger Flüchtlinge auf Lesbos, aber sie leben immer noch unter prekären Umständen. Thomas von der Osten-Sacken ist Nahost-Experte und Geschäftsführer der deutsch-irakischen Hilfsorganisation Wadi. Insgesamt 1 Jahr lang hat er auf Lesbos verbracht und war als Berater für die griechische NGO Stand by me Lesbos tätig, die sich für die Rechte der Flüchtlinge auf Lesbos und der Verbesserung der Lebensbedingungen vor Ort einsetzt. — 2016 wurden im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens 5 ostägäische Inseln als Auffanglager vorgesehen, sogenannten Hotspots mit schnellen Asyl- und Rückführungsverfahren. Lesbos, Kos, Chios, Samos und Leros. Asylberechtigte sollten dann nach einem bestimmten Schlüssel auf die EU-Staaten verteilt werden. Funktioniert hat das nicht. Die EU konnte sich nicht auf eine gemeinsame Linie einigen. Währenddessen kamen immer mehr Bootsflüchtlinge auf den Inseln an. Die Folge: überfüllte Flüchtlingslager. Moria, der größte dieser 5 Hotspots, war für 2 800 Menschen ausgelegt. Im Frühjahr 2020 lebten hier 20 000 Menschen.

Thomas v. der Osten:Sacken:

Es hat keinerlei Infrastruktur gegeben, so viele Menschen unterzubringen, sodass dann ein Großteil in irgendwelchen Campingzelten in Olivenhainen ohne fließendes Wasser, ohne Strom, ohne die entsprechenden hygienischen Einrichtungen leben mussten. Man konnte da eigentlich nicht mehr von einem Flüchtlingslager sprechen, ein Flüchtlings-Slum wäre die bessere Bezeichnung gewesen. Und damit einhergehend gab es natürlich auch sämtliche Probleme, sozusagen die in solche Slums entstehen. Sehr hohe Kriminalität, Mafia, Gewalt gegen Frauen, Kinder, viele Selbstmorde, Perspektivlosigkeit, eine verheerende Gesundheitsversorgung. Also dieses Moria sah im letzten Februar, März, April schlimmer aus als die meisten Flüchtlingscamps, die ich aus sonst Irak oder der Türkei kenne. Und ist sozusagen dadurch auch zu so einem mehr oder weniger Symbol einer komplett gescheiterten inhumanen Flüchtlingspolitik geworden, bei der Menschen einfach auch systematisch ihrer Rechte, die sie ja als Asylantragssteller laut Genfer Flüchtlingskonvention und europäischer Menschenrechtserklärung haben, vorenthalten wurden.

„Abschottung lässt sich an Landgrenzen, wie man das gerade vorgeführt kriegt, relativ einfach machen. Man baut einfach Zäune, Stacheldraht Verhaue, Minenfelder, dann kommen irgendwann Menschen nicht mehr über eine Grenze, wo sie einen Asylantrag stellen können. Das ist bei diesen Seegrenzen halt wesentlich schwieriger, weil man nicht in der Mitte vom Meer eine Mauer bauen kann und dann passiert, was jetzt in Griechenland passiert, sogenannte Pushbacks. Leute kommen mit ihren Booten in griechisches Hoheitsgewässer, haben eigentlich das Recht dort ein Asylantrag zu stellen, werden aber in den Booten wieder zurück in die Türkei gedrängt, ohne dass sie je die Chance hatten ihren Asylantrag zu stellen, denn in dem Augenblick, wo ich einen Asylantrag stelle, kommen mir diese genannten Schutzrechte zu und eins der ganz wichtigen Schutzrechte ist eben das Recht nicht irgendwohin zurückgeschoben werden, von wo ich unter Umständen in mein Heimatland zurückgeschoben werden könnte, ohne dass ich je ein faires Asylverfahren hatte. (…)

In den letzten fünf bis zehn Jahren sind Flüchtlinge einfach eine Art Waffe geworden und ähnlich wie es zwischen den USA und Lateinamerika diesen War on Drugs gibt, der seit Jahrzehnten geführt wird, findet eben an den europäischen Außengrenzen ein War on Refugees statt, weil eben die Flüchtlinge von den einen als Waffe eingesetzt werden und von den anderen inzwischen ja als fast Feinde oder militärische Bedrohung behandelt werden und das eskaliert im Moment, aber sozusagen das erste dramatische Kapitel dieses War on Refugees hat damals eben an den der türkisch-griechischen Grenze stattgefunden.“