Stopp des Familiennachzugs: Eine weitere Katastrophe für „subsidär Schutzberechtigte“

Der Beschluss des Bundestages, den Familiennachzug für „subsidär Schutzberechtigte“ zu stoppen, ist nicht nur falsch, sondern eine Katastrophe für die Betroffenen.

Von Arvid Vormann, 28.06.2025

Bild: Salinia Stroux, Pro Asyl

Die im Bundestag von einer großen Koalition aus SPD, CDU/CSU und AFD beschlossene Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit dem Status „subsidiär schutzberechtigt“ wird vielerorts kleingeredet: sie sei nur vorübergehend, betreffe nur eine kleinere Gruppe und es gäbe zudem eine Härtefallregelung. Lediglich die AFD begrüßte ihn ausdrücklich, allerdings als nur  „klitzekleinen Schritt in die richtige Richtung“. Dabei ist diese Maßnahme für die Betroffenen, die sich wohlgemerkt weder eines Verbrechens noch des geringsten Fehlverhaltens schuldig gemacht haben, eine weitere riesige Katastrophe in ihrem ohnehin beschwerlichen Leben.

Bemerkenswert ist vor allem die Rolle der SPD bei diesem flüchtlingsfeindlichen Vorstoß: Von ihren 120 Abgeordneten wagten es lediglich zwei, sich der Koalitionsdisziplin zu widersetzen und ihrem Gewissen zu folgen, indem sie mit „Nein“ stimmten. 

Manche argumentieren, subsidiär Schutzberechtigte genössen nunmal nur vorübergehenden Schutz, und die fehlende Bleibeperspektive rechtfertige keinen Familiennachzug. Die Realität ist eine andere: Diese Menschen sind ebenso wie anerkannte Asylbewerber/innen vor Krieg und Verfolgung geflohen, haben traumatische Erlebnisse hinter sich. Sie hatten lediglich das Pech, einen minderen Status zuerkannt zu bekommen. Unter ihnen sind, neben vielen Menschen aus Syrien, auch besonders viele Jesidinnen und Jesiden. Eine Rückkehrperspektive haben sie nach wie vor nicht, in der Heimat fehlt es an jeder Lebensgrundlage.

Zur Erinnerung: Der Bundestag hat die Verbrechen des IS an den Jesiden als Völkermord anerkannt. Man verkündete damals vollmundig, der Bundestag gehe damit die Verpflichtung ein, den Opfern des Genozids hilfreich zur Seite zu stehen, und zwar auf Dauer (Michael Brand, CDU). Tatsächlich sind Jesiden inzwischen sogar besonders abschiebegefährdet – nicht nur wegen ihres minderen Schutzstatus, sondern auch, weil sie leicht zu greifen sind, da sie meist intensiv versuchen, sich in Deutschland ein neues Leben aufzubauen und sich deshalb an Gesetze und Meldeauflagen halten, Kurse und Ausbildungen beginnen, etc. Hinzu kommt, dass der Irak, gegen erhebliche Entschädigung wohlgemerkt, ein williger Aufnehmer ist. Da spielt es keine Rolle mehr, dass den Betroffenen dort Verfolgung droht. Und so stehen dann regelmäßig Jesidinnen und Jesiden, Überlebende des Genozids, verloren am Bagdader Flughafen und haben nicht die leiseste Idee, wo sie auch nur die kommende Nacht verbringen könnten. 

Und diejenigen, an denen dieser Kelch bisher vorübergezogen ist, leben in ständiger Sorge, dass ihre Duldung nicht verlängert und damit ihre bescheidenen Zukunftspläne zunichte gemacht werden könnten. Zudem plagt sie der große Kummer, von ihren nächsten Angehörigen – Eltern, Kinder, Bruder, Schwester – getrennt zu sein, sie nicht nachholen zu dürfen, und so eben: kein normales Leben führen zu dürfen. Denn schon bisher wurden viele von ihnen teilweise jahrelang vom Auswärtigen Amt hingehalten. Nun muss man sich dort nicht weiter zieren; dieser humanitären Praxis wurde ein genereller Riegel vorgeschoben. Tausenden Betroffenen wurde vermutlich so die letzte Hoffnung genommen, denn es ist kaum anzunehmen, dass, wie von Pro Asyl nun angekündigt, rechtliche Schritte gegen die Entscheidung Erfolg haben werden.

Die Problematisierung ausgerechnet des Familiennachzugs irritiert angesichts vergangener Debatten, wie Pitt von Bebenburg in der Frankfurter Rundschau ausführt „Jahrelang wurde beklagt, dass vor allem alleinstehende junge Männer nach Deutschland fliehen, die als bedrohlich empfunden würden. Nun soll es auf einmal zum Problem werden, dass Frauen und Kinder kommen, die sicherlich eine Integration dieser Männer beschleunigen könnten, oder dass Eltern zu ihren Kindern ziehen dürfen.“  

Zudem dürfte allgemein bekannt sein, dass der Familie als bedeutendem sozialen Netzwerk eine entscheidende Rolle bei der erfolgreichen Integration zukommt. Dass nun ausgerechnet diejenigen, die stets negative Folgen von Migration befürchten, Migranten dieses Sicherheitsnetz nehmen, mutet paradox an.  Warum schließlich blockiert man mit dem Familiennachzug einen der wenigen verbliebenen Wege „legaler“ und „gesteuerter“ Einwanderung, wenn man doch, wie die jetzige Koalition, angetreten ist, „illegale Migration“ und „Schlepperwesen“ zu bekämpfen? All das ergibt wenig Sinn, es sei denn, die vergangenen Debatten waren am Ende allesamt Nebelkerzen und wurden mit dem einzigen Ziel geführt, den unerklärten Krieg gegen Flüchtlinge voranzutreiben. Dafür spricht das triumphale Fazit der CDU „Wir machen Deutschland wieder sicherer“, das Familienangehörige als gemeingefährlich darstellt.