Die Temperaturen liegen nur knapp über Null, es regnet seit Tagen, und der Himmel sieht aus, als würde die Sonne hier nie wieder scheinen. Doch die 20 jesidischen Mädchen im Essian-Flüchtlingslager (15000 Menschen, 3000 Zelte) sind in ausgelassener Stimmung und kichern ununterbrochen, als der Bus der deutsch-irakischen Hilfsorganisation „Wadi“ aufs Gelände fährt, um sie abzuholen. Zwei Wochen lang dürfen sie jetzt an dem Betreuungsprogramm im „Jinda“-Zentrum in der Stadt Dohuk (Nordirak) teilnehmen.
„Jedes Mädchen eine Prinzessin“ – so lautet der Slogan des Projekts. Stark traumatisierte jesidische Mädchen, die von ISIS-Terroristen als Sex-Sklavinnen gehalten wurden, bekommen hier Hilfe und Geborgenheit, ein Stück Normalität, Freude und Freundschaft statt tristem Lageralltag.
Kurz bevor sie von ihrer Familie getrennt worden war, hatte ihr Vater ihr gesagt, dass sie sich nicht umbringen dürfe – egal was passiert. „Daran habe ich immer gedacht, wenn ich es nicht mehr ausgehalten habe.“
Jeden Monat gab es einen Schwangerschaftstest für die Sklavinnen – als ihrer positiv ausfiel, nahm sie Medikamente und verlor das Kind. Der ISIS-Terrorist wurde zornig, als er davon erfuhr und drohte, sie an einen Syrer zu verkaufen, vor dem sie große Angst hatte. In der Nacht wagte sie gemeinsam mit anderen Mädchen die Flucht. Ohne Schuhe, damit man sie nicht hört, schlichen sie aus dem Haus, liefen barfuß die ganze Nacht in Richtung der jesidischen Truppen, von wo aus sie in Sicherheit gebracht wurden.
► Susan (19) ist die einzige aus ihrer Familie, die bisher aus der ISIS-Gefangenschaft fliehen konnte.
Sie war nach ihrer Entführung von einem irakischen Terroristen namens Scheich Abdullah zur Sklavin genommen worden. Er bezog mit ihr in Mossul ein Haus, aus dem eine christliche Familie geflohen war. Anfangs war noch eine 14-jährige Jesidin bei ihnen, doch sie wurde nach wenigen Tagen von einem 50 Jahre alten ISIS-Terroristen gekauft.
Abdullah vergewaltigte und schlug Susan. „Ich flehte ihn an, dass er mich zurück zu meiner Mutter bringen solle, aber er sagte nur ‚Vergiss deine Familie!‘.“
Ihr erster Fluchtversuch scheiterte, ein Wächter zog sie an den Haaren zurück ins Haus. Zur Bestrafung wurde sie mit Handschellen an ein Rohr in einem Zimmer gefesselt. „Mir war schrecklich kalt, ich hatte kein Essen, kein Wasser“, sagt Susan.
Danach gab Abdullah sie zu seiner Familie als Haussklavin. „Es war eine ISIS-Familie, sie behandelten mich schlecht, beschimpften mich.“ Einen Monat später gelang ihr die Flucht aus dem Haus.