Leitfaden „Demokratie verstehen und mitmachen“ bestellen

Kommunen und Flüchtlingsinititiven können jetzt WADIs Leitfaden „Demokratie verstehen und mitmachen“ des Projekts „Vom Flüchtling zum Bürger und zur Bürgerin“ bestellen. Viele stellen fest, dass auch hier aufgewachsene Menschen darin noch einiges über lokale Demokratie und Entscheidungsfindung lernen – oft anderes als die Zielgruppe Flüchtlinge. Gemeinsam ergeben sich spannende Gespräche.

Gleich auf der ersten Seite definieren die MacherInnen: „Demokratie heißt, dass die Menschen nicht nur frei wählen und ihre Meinung sagen können, sondern dass ihre Meinung auch gehört wird und die politischen Entscheidungen beeinflusst.“

Schön wär’s, denkt sich so mancher. Projektkoordinatorin Hannah Wettig, die lange als Journalistin im Nahen Osten war, erläutert: „Das ist ein Idealbild. Und im Kleinen funktioniert das auch – und das ist ganz anders in den Herkunftsländern der Flüchtlinge. Wenn in meiner Straße eine Baustelle zu laut ist oder ich finde, dass ein Habichtpaar geschützt werden soll, kann ich einen Brief ans Rathaus schreiben. Die schreiben einem dann einen freundlichen Brief zurück, manchmal laden sie einen sogar ein. Vielleicht passiert dann nichts. Aber ich werde als Bürgerin angehört und oft auch ernst genommen. Versuchen Sie das mal in Syrien. Da kommt kein netter Brief, sondern der Geheimdienst.“

Hussein Ghrer, einer der Trainer des Projekts, bestätigt das aus eigener Erfahrungen. Nicht nur Kritik, sondern auch Eigentinitiative war in Syrien nicht erwünscht. Er wollte in seiner Studienzeit mit ein paar Freunden den Uni-Campus verschönern. Sie fragten den Direktor. Der war nicht abgeneigt, musste aber im Bildungsministerium nachfragen. Der Antrag wurde abgelehnt. Er dürfe allein sauber machen, aber bitte keine Gruppe gründen.

Wenn Menschen aus Diktaturen hierherkommen, verstehen sie schnell, wie Regierung und Bundestag funktionieren. Oft wussten sie das schon vorher. Aber niemand sagt ihnen, dass Demokratie auch im Alltag, auch für sie da ist. Viele Deutsche können das schlecht vermitteln, denn sie sind damit aufgewachsen, glauben sie treffen auf andere Mentalitäten, wenn Verhalten anders ist.

Der Leitfaden ist entstanden aus vielen Gesprächen mit Menschen aus Syrien, Irak und Afghanistan, die heute hier leben. Es ging darum zu erfahren, wie sie die Demokratie hier erleben, was ihnen wichtig ist. Ghrer beschreibt ein Erlebnis in der Kita seines Sohnes: „Wir sollten kommen, um den Kitagarten zu machen. Ich dachte: Aha, die Eltern müssen hier mitarbeiten. Als ich da war, habe ich verstanden: Wow, wir dürfen entscheiden, wie der Garten aussehen soll. Das ist toll.“

Das Projekt ist darauf gerichtet, Flüchtlingen zu vermitteln, dass sie sich einbringen dürfen und sollen und dass auch kritische Meinungen erlaubt sind. Der Leitfaden erläutert die kommunale Selbstverwaltung, das Subsidiaritätprinzip, Eltern und Schülervertretung, Vereine und ehrenamtliches Engagement. Den arabischen Projektmitarbeitern war wichtig, dass noch weitere Felder behandelt werden, die nicht so offensichtlich mit lokaler Demokratie zu tun haben, aber eben auch mit „gehört werden“ und mitentscheiden. Darum gibt es einen Abschnitt zu flachen Hierarchien auf der Arbeit, Schulunterricht und Entscheidungsfindung in der Familie.

Darin wird auch thematisiert, warum Flüchtlinge vielleicht nicht erleben, dass sie gehört werden. „Dann könnte es sein, dass Sie einer Art Rassismus begegnen… Es könnte auch sein, dass Sie die Gelegenheiten, sich einzubringen, übersehen haben, weil Sie nicht wussten, dass Sie wirklich nach Ihrer Meinung gefragt wurden.“

Die ehrenamtliche Helferin Lilly Bühring hat im Gespräch über diesen Abschnitt viel über die Syrer, die bei ihr wohnen, gelernt. „Ich habe sie gefragt: Sagt mal, dass ist doch nicht echt so, dass ihr nicht wisst, dass ihr Eure Meinung sagen sollt, wenn ihr gefragt werden. Aber die haben gesagt: Doch. Das ist für uns genauso wie es da steht. Da habe ich erst begriffen, wie schwer es ist, das zu überwinden, wenn Deine Meinung nie gefragt war.“

Ein weiterer Abschnitt widmet sich Gruppendynamiken. Darin werden Typen beschrieben: die Fleißigen, die immer Protokoll führen, die Meinungsstarken, die Nörgler und die Führertypen – und wie man dagegen angeht, dass sich solche Dynamiken verfestigen. Das Thema war den arabischen Mitarbeitern wichtig, weil sie erleben, dass sich Menschen aus Diktaturen auch in demokratischen Zusammenhängen stark hierarchisch verhalten. „Jeder hat einen kleinen Diktator in sich,“ sagt Ghrer, „oder akzeptiert, dass ein anderer Diktator ist.“

Der Leitfaden umfasst 48 Seiten, die Hälfte Deutsch, die andere Hälfte Arabisch. Er kann über Wadi bestellt werden zu einer Schutzgebühr von 50 Cent plus Versandkosten. Den ganzen Leitfaden gibt’s zum Durchblättern hier.