Seit Jahrzehnten wird in Europa das Asylrecht ausgehöhlt. Auch Sprache spielt dabei eine Rolle. Inzwischen ist es Flüchtlingen an den Außengrenzen der EU nicht einmal mehr möglich, einen Asylantrag zu stellen.
Thomas von der Osten-Sacken, Jungle World, 18.11.2021
Irgendwann um 2015 herum wurde es schick, nicht mehr von Flüchtlingen, sondern „Geflüchteten“ zu sprechen. Angeblich sei die -ling Endung irgendwie abwertend und deshalb brauche man ein neues Wort. Nun gibt es allerdings verbriefte Rechte für Flüchtlinge ebenso wie eine Flüchtlingskonvention, die sehr genau definiert, wer Flüchtling ist und was einen Flüchtling etwa von anderen Migranten unterscheidet: Es ist unter anderem das Recht auf Schutz und vor allem ein faires Asylverfahren.
Im englischsprachigen Raum, wo das Umdefinieren sich noch größerer Beliebtheit erfreut, wurden aus „refugees“ gleich „people on the move“ und auf den griechischen Inseln nutzen NGOs und ihr Heer von Volunteers ausschließlich dieses Wort. Refugees, so hört man dort, sei irgendwie diskriminierend.
Die, um die es geht, sind am Ende die Leidtragenden des Ganzen: Seit die Krise an der polnisch-belarussischen Grenze eskaliert, sprechen Politiker und Medien fast ausschließlich von „Migranten“ oder gar „illegalen Migranten“, die dort eine „hybride Bedrohung“ darstellten.
Was ist ein ‚illegaler Migrant‘?
Wer allerdings mit dem erklärten Ziel irgendwohin kommt, dort einen Asylantrag zu stellen, wurde bislang als Flüchtling oder Asylsuchender bezeichnet, wer, wie viele Menschen aus Latein- und Südamerika etwa, in die USA reist, um dort ohne entsprechende Papiere zu besitzen, Arbeit zu suchen, galt als „illegal immigrant.“ Nun dürfte klar sein, das mindestens 90% all derer, die gerade Einlass nach Polen verlangen, Asylanträge stellen wollen bzw. werden und nicht als „sans papier“ Arbeit suchen. Nur letztere wären „illegale Migranten“ und hätten in der Tat keinerlei Rechte, weder auf Grenzübertritt noch humane Behandlung. Flüchtlinge bzw. Asylsuchende dagegen schon, sie haben vor allem das Recht, einen Asylantrag zu stellen:
Jeder, der vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden in seinem Herkunftsland flieht, hat das Recht, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Asyl ist ein Grundrecht und es ist eine internationale Verpflichtung der Vertragsparteien des Genfer Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951, zu denen auch die Mitgliedstaaten der EU gehören, Personen, die die im Abkommen festgelegten Kriterien erfüllen, dieses Recht zu gewähren.
Natürlich können laut Genfer Flüchtlingskonvention Asylanträge dann, solange ein faires Verfahren garantiert wird, abgelehnt werden. Solange Verfahren allerdings laufen, haben Asylantragsteller Rechte und sind geschützt.
Nun könnte man natürlich argumentieren, dass, da Belarus immerhin Teile der Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet hat, Menschen auch dort ihre Anträge stellen könnten. Es gibt dort schließlich die Möglichkeit und von bislang 562 gestellten Anträgen wurden auch ganze fünfzehn anerkannt. Aber so zynisch will dann irgendwie doch niemand klingen, jedenfalls kam dieser Vorschlag bislang nicht auf.
Neudefinitionen
Stattdessen übernimmt man dankbar die ganze Neudefinition von Flüchtlingen, die nun einfach Migranten genannt werden und niemand erhebt Einspruch, schon gar nicht von links, wo so mühsam der „Geflüchtete“ erschaffen wurde. So werden in der EU dieser Tage die letzten Reste des Asylrechts faktisch abgeschafft, indem man Menschen systematisch die Möglichkeit vorenthält und nimmt, überhaupt einen Antrag auf Asyl stellen zu können. Wer aber keinen Asylantrag stellt, ganz einfach weil er keinen stellen kann, ist in der Tat dann ein „illegaler Migrant“.

Viele, die nun aus Belarus zurück gebracht werden, sind Jesidinnen und Jesiden, Überlebenden des Massakers durch den islamischen Staat 2014. Seit über sieben Jahren leben sie ohne Perspektive in Lagern in der Provinz Dohuk in Irakisch-Kurdistan. Ihnen wurde nicht einmal die Möglichkeit gegeben, auch nur prüfen zu lassen, ob sie in der EU ein Anrecht auf Asyl haben:
„Insgesamt 431 Iraker repatriierte die Regierung am Donnerstag, die meisten von ihnen Kurden. Unter den Rückkehrern befanden sich aber auch etliche Jesiden aus Sinjar, die den Genozid des Islamischen Staats vor sieben Jahren überlebt haben. Eine ältere Jesidin, die Dutzende von Verwandten verloren hat, floh mit ihrer halben Familie. Nach ihrer Ankunft in Erbil hatte sie nicht einmal das Geld für die Taxifahrt in das Vertriebenenlager, in dem sie jahrelang gelebt hatte. Kein europäischer Vertreter hat sich offensichtlich die Mühe gemacht, das mögliche Anrecht der Überlebenden auf Schutz in einem europäischen Land zu prüfen.“
Damit ist Asylrecht in der EU de facto endgültig zu Makulatur geworden. Australien hat es vorgemacht: Ja da gilt auch die Genfer Flüchtlingskonvention, aber man sorgt einfach dafür, dass niemand es schafft, das Land zu erreichen, um einen Antrag stellen zu können.