Mobile Teams betreuen Frauen und Kinder in abgelegenen Regionen

Seit April 2003 – der III. Golfkrieg war noch in vollem Gange – betreuen frauengeführte Mobile Teams Frauen und Kinder in Dörfern verschiedener Regionen des Nordirak. WADI hat sehr gute Erfahrungen mit diesem Konzept der „aufsuchenden Hilfe“ gemacht. Die Frauen versammeln sich in der Schule, der Moschee oder in einem Privathaus. Die Mitarbeiterinnen der Mobilen Teams sprechen in zwangloser und vertrauter Atmosphäre mit den Frauen. Sie stellen allmählich fest, welche besonderen Probleme sie im Ort belasten. Gegebenenfalls sammeln sie Daten, um Ausmaß und Spezifik der Problematiken zu bestimmen und dann gezielt Hilfe organisieren zu können. Der Schwerpunkt der drei Mobilen Teams liegt zur Zeit im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung (FGM).

Von Oliver M. Piecha

Die Fahrt führt weg von der holprigen Landstraße an Feldern entlang. Ohne geländegängige Fahrzeuge wären die meisten Orte für die Mobilen Teams nicht erreichbar. Jenseits einer Bodenwelle und einem Bach zeichnen sich niedrige Häuser im Dunst ab: das heutige Ziel des Mobilen Teams aus Halabja. Das Team besteht aus drei Personen. Die Krankenschwester Adiba und die Psychologin Nasreen führen die Veranstaltung mit den Frauen durch. Assi Frood ist der Fahrer und für die Logistik zuständig. Gleich an einem der ersten Häuser des Ortes hält er. Es ist das Anwesen des Dorfvorstehers, eine große Schafsherde steht in ihrem Pferch neben dem Anwesen. Der Vorsteher erzählt, dass das Dorf im Rahmen der Anfalkampagne einst zerstört worden ist, nun ist das drängendste Problem der Fahrweg, der nach Regen tagelang unpassierbar bleibt.

Die meisten Frauen des Ortes haben sich bereits im Haus versammelt, Assi Frood und der Hausherr bleiben draußen vor dem Hoftor. Für kurdische Männer wäre die Anwesenheit bei so einem Treffen unmöglich, auch für kurdische WADI-Mitarbeiter. Das gilt allerdings ausdrücklich nicht für Besucher aus dem Westen, wie Nasreen lächelnd erklärt. Eine scheinbar paradoxe Situation, aber die ungefähr 30 versammelten Frauen und Mädchen – im Lauf der nächsten Stunde wurden es noch mehr – sind genauso neugierig wie die europäischen Besucher. Für die Frauen des Dorfes, die in dem dämmerigen Raum auf Matten und Kissen hocken und sich offensichtlich für den Anlass auch etwas festlich gekleidet haben, ist der Besuch des Mobilen Teams durchaus auch ein gesellschaftliches Ereignis, das weit jenseits des Alltags liegt.

Mobile Teams betreuen Frauen und Kinder in abgelegenen Regionen

Das FGM-Programm des Mobilen Teams fängt nach der Begrüßung mit der Vorführung des von WADI produzierten Films des kurdischen Filmemachers Nabaz Ahmed über weibliche Genitalverstümmelung an; dass sie mittlerweile mit Notebook und Videobeamer arbeiten können, ist für die Mobilen Teams ein große Erleichterung. Es folgen Diskussionen, teils der Frauen untereinander, teils mit dem Mobilen Team in großer Runde, das derweil Fragebogen verteilt, die mit den Frauen einzeln durchgesprochen werden. Auch die meisten Frauen hier in diesem Dorf, erklärt Nasreen seien beschnitten, die Stimmung insgesamt eindeutig gegen diese Praxis gerichtet.

Das Beeindruckenste an dieser Szene, die als ganzes schon sehr beeindruckend war? Das war die rund vierzigjährige Frau, die neben dem Beobachter saß, ihn mehrfach ansprach, schließlich deutlich ihr Mißfallen äußerte, dass er ihr auf Kurdisch nicht folgen konnte, und erst zufrieden war, als man sie übersetze; sie selbst sei beschnitten, erklärte sie unumwunden, habe das jedoch bei ihren zwei Töchtern vehement abgelehnt, und zwar schon lange bevor die Beschneidung zu einem öffentlichen Thema geworden sei.

Die Mobilen Teams von WADI haben längst eine eigene Geschichte. Sie haben sich als wandlungsfähiges Instrument gezeigt, in engen Kontakt mit den Frauen in den Dörfern zu kommen. Zunächst lag, neben der Gesundheits-, Sozial- und Rechtsberatung, ein Schwerpunkt der Arbeit der Mobilen Teams auf der gesundheitlichen Notversorgung. Mittlerweile hat sich die medizinische Versorgung auch in diesen abgelegenen Gebieten allerdings soweit verbessert, dass die Teams sich ganz auf ihre eigentlichen Beratungs- und Aufklärungsfunktionen konzentrieren können. Und hierbei steht der Kampf gegen die Genitalverstümmelung nun an erster Stelle.

Es gibt von WADI finanziertes Informationsmaterial über FGM, darunter ein zweiseitiges Leaflet, von dem bereits über 5000 Stück verteilt wurden, sowie eine Broschüre, die sich mit den oft religiösen Begründungen für weibliche Genitalverstümmelung auseinandersetzt und entgegengesetzte Stellungnahmen religiöser Autoritäten enthält.

Die gegenwärtig drei Teams sind in den Regionen Pischde, Raniya, Qaladize und Germyan unterwegs. Sie kooperieren überdies mit den von WADI verwalteten Frauenzentren Kifri, Biara und Halabja, wo sie Sprechstunden anbieten und Seminare oder Vorträge zu Themen wie „Gewalt gegen Frauen“, „Zwangsehen“, „Rechte in der Ehe“, „Frauen im Islam“ durchführen. Darüber hinaus sind sie Ansprechpartner für vielfältige Probleme. Frauen auf den abgelegenen Dörfern, die unter familiärer Gewalt oder kriegsbedingten Traumata leiden, werden etwa über die Hilfsangebote der bestehenden Frauenhäuser informiert und ggf. dorthin begleitet, wenn sie es wünschen.

Die jeweils zwei weiblichen Teammitglieder haben eine psychologische Ausbildung, sind Krankenschwestern oder Sozialarbeiterinnen. Und sie stammen aus der Region, was nicht unwesentlich ist. Seit Projektstart 2004 bis Ende 2011 haben die Mobilen Teams 1216 Dörfer und Kleinstädte besucht. 26.410 Frauen und Mädchen haben an den Aufklärungsgesprächen teilgenommen.