Über die Jagd nach Schleusern

Die Bundesregierung geht auf die Jagd nach Schleusern. Sicherer für Flüchtlinge wird es dadurch nicht. Die Gründe, warum Menschen über sogenannte illegale Routen flüchten, bleiben ohnehin bestehen.

Von Thomas von der Osten-Sacken, Jungle World, 26.11.2023

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Eingang des abgebrannten Moria Camps auf Lesbos, Bild: Raid al Obeed Mit dem Asylrecht in der Bundesrepu­blik ist es eigentlich ganz einfach und das macht es für Bundesregierungen seit über 30 Jahren so schwierig. Warum, kann man auf den Seiten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nachlesen. Da steht: »Das Asylrecht hat in Deutschland als Grundrecht Verfassungsrang.« Und weil das so ist, kann man es nicht einfach abschaffen oder noch weiter zur Unkenntlichkeit entstellen, als dies in den vergangenen Dekaden schon geschehen ist.

Also wird umdefiniert und qua sprachlicher Verrenkungen werden aus Asylsuchenden wahlweise Geflüchtete oder »illegale« Migranten gemacht. Schließlich ist es, Australien hat es zuletzt vorgemacht, eigentlich auch ganz einfach: Man kann ein fortschrittliches Asylrecht haben und Grenzen so hermetisch abriegeln, dass einfach niemand mehr kommen kann, um einen entsprechenden Antrag zu stellen. Das ist für einen Inselstaat wie Australien natürlich einfacher zu bewerkstelligen als für ein Land wie die Bundesrepu­blik, aber das heißt nicht, dass nicht alles unternommen wird, um Menschen, die eigentlich das Recht haben, einen Asylantrag zu stellen, gar nicht erst hineinzulassen. Längst sind so auch alle legalen Wege, aus einem sogenannten Herkunftsland nach Europa zu kommen, systematisch versperrt, weshalb Flüchtlinge dies auf illegalem Weg tun müssen.

Kurzum: Ohne Schlepper, Schleuser, Menschenschmuggler, oder wie immer man sie nennen mag, gäbe es auch keine Asylantragsteller oder nur eine verschwindend geringe Zahl. Das hat Asylantragstellung nämlich inzwischen mit verbotenen Drogen gemeinsam: Man bekommt sie nur auf dem Schwarzmarkt. Und wie dort üblich gibt es keine Qualitätskontrollen, dafür aber große Gewinnmargen. Es hängt deshalb am jeweiligen Anbieter des illegalisierten Produkts, ob er einer gewissen Ethik folgt und gute Ware liefert oder aber ihm das Wohlergehen des Kunden völlig egal ist.

Entsprechend erfährt man immer wieder von havarierten völlig überladenen Seelenverkäufern, auf die Hunderte Menschen gepfercht werden, nur um im Mittelmeer kläglich zu ertrinken, oder von Lastwagen, in denen Dutzende ersticken. Wenn solche Meldungen in den Medien erscheinen und kurz ein wenig Entsetzen herrscht, können sich dieselben Politiker, die erst legale Flucht verunmöglicht haben, ein wenig moralisch aufplustern und härteres Durchgreifen gegen Schlepper fordern.

Ohne Schlepper, Schleuser, Menschenschmuggler, oder wie immer man sie nennen mag, gäbe es auch keine Asylantrag­steller – denn alle legalen Wege sind versperrt.

Dass kein Mensch freiwillig Unsummen zahlen würde, um sich auf eine derartige Reise zu begeben, wird dabei wohlweislich verschwiegen, ebenso wie die simple Tatsache, dass es nun einmal Angebote gibt, wo Nachfrage herrscht. Dass, wo einerseits enorme Gewinne winken und es andererseits eines gut organisierten illegalen Netzwerks bedarf, um diese Gewinne auch einfahren zu können, organisierte nichtstaatliche und staatliche Kriminalität das Ruder übernehmen, lernt jeder Jura-Student im ersten Semester.

Menschenhandel und -schmuggel sei, erklärte jüngst die US-Senatorin Marsha Blackburn, die »am schnellsten wachsende illegale Aktivität« auf der Welt und generiere jährlich über 245 Milliarden US-Dollar. An ihr, auch das ist bekannt, verdienen Staaten, Offiziere, Terrororganisationen wie zum Beispiel die Hizbollah, die Mafia und unzählige andere Unsummen. Oft übersteigen die Einnahmen aus der Schleuserei sogar die aus Waffen- und Drogenhandel. Das US-Außenministerium publiziert jedes Jahr eine Liste von Staaten, die direkt oder indirekt an Menschenhandel beteiligt sind, und es dürfte kaum verwundern, dass sich auf dieser Liste auch viele der sogenannten Hauptherkunftsländer von Flüchtlingen finden.

Eines der Länder, die dort Jahr für Jahr erwähnt werden, ist der Iran, dessen Handlanger-Miliz Hizbollah laut einer Studie des Washington Institute for Near East Policy Millionen mit Menschenschmuggel- und handel verdient. Gleiches gilt für islamistische Milizen in Libyen und dem Sahel. Je restriktiver gegen solche Banden vorgegangen wird, desto tiefer müssen Flüchtlinge in die Tasche greifen. Für die Schleuser spielt es keine Rolle, ob sie viele für wenig Geld oder wenige für viel Geld übers Mittelmeer bringen.

Dies muss man wissen, wenn es um Prozesse oder Razzien gegen Schleuser geht, wie jüngst in Nordrhein-Westfalen. Laut Polizei ist es dort gelungen, zwei Männer festzunehmen, denen vorgeworfen wird, Menschen aus dem Libanon nach Italien geschmuggelt zu haben. Eines ihrer Schiffe sei dabei untergegangen und habe mehr als 100 Menschen mit sich in den Tod gerissen. Abschrecken lassen wird sich von solchen Festnahmen niemand. Es winkt einfach zu viel Gewinn, und wie man schon aus Thrillern über Kartelle weiß, rückt die nächste Organisation einfach nach. Auch darf stark bezweifelt werden, dass deutsche Strafverfolgungsbehörden je an die großen Fische kommen. Die sitzen in Villen im Libanon, in Syrien, der Türkei und anderswo.

Gefängnisse werden sich mit kleinen Fischen füllen, Überfahrten nach Europa werden teurer und noch unsicherer und hin und wieder können sich Innenminister in Bund und Länder auf die Schulter klopfen, weil ihnen irgendein Erfolg gegen Schleuserbanden gelungen ist.

In Berlin verabschiedete man jüngst den neuen sogenannten Bund-Länder-Kompromiss zur Asylpolitik, der weitere Repressionsmaßnahmen beinhaltet. Fortan könne unter anderem auch bestraft werden, wer »Ausländern dabei hilft, ohne Visum in die EU einzureisen«, und zwar »wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern« – auch ohne dafür eine finanzielle Gegenleistung zu verlangen, berichtete die Taz. Wozu das unter anderem führt, hat Griechenland jüngst vorgemacht. Dort sitzen als Schleuser verurteilt zum Teil jene Flüchtlinge im Gefängnis, die sich bereit erklärten, die Schlauchboote aus der Türkei zu steuern. Der Bundestag muss dem Gesetzesentwurf noch zustimmen.

Abzusehen ist also schon jetzt, welche Folgen dieser sogenannte Kompromiss haben wird: Gefängnisse werden sich mit kleinen Fischen füllen, Überfahrten nach Europa werden teurer und noch unsicherer und hin und wieder können sich Innenminister in Bund und Länder auf die Schulter klopfen, weil ihnen irgendein Erfolg gegen Schleuserbanden gelungen ist.

An den Ursachen, warum Millionen Menschen fliehen, ändert sich deshalb so wenig wie an den Gründen, warum ihnen nichts anderes übrig bleibt, als dies auf sogenannten illegalen Fluchtrouten zu tun. Wenn nach Verabschiedung des Kompromisses der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) verkündet, das Ziel des Unterfangens sei es, die Zahl der Flüchtlinge zu senken, so fragt man sich, ob solche Äußerungen Ausdruck von Dummheit oder Ignoranz oder eine Mischung aus beidem sind: Gerade nämlich erklärte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zum wiederholten Male, dass weltweit die Zahl von Flüchtlingen einen erneuten Höchststand erreicht habe.

Dabei berücksichtigen diese Zahlen, da sie sich noch auf das Jahr 2022 beziehen, nicht einmal die Millionen neuer Opfer des Bürgerkriegs im Sudan, über die die Chefin der International Organisation für Migration (IOM), Amy Pope, erst vor wenigen Tagen sagte, es handele sich dabei um die größte Flüchtlings- und internal displacement-Krise der letzten Jahrzehnte.