Erinnern an die Verbrechen, die das Saddam-Regime gegen die eigene Bevölkerung begangen hat, ist zentraler Bestandteil der Arbeit von WADI.
Die Folgen der Anfal-Kampagne, des Vernichtungsfeldzuges der Armee Saddam Husseins gegen die Kurden im Irak, stehen seit Gründung von WADI mit im Zentrum unserer Arbeit im Nordirak.
1988, im letzten Jahr des iranisch-irakischen Krieges, beschloss Saddam Hussein das Problem mit den aufständischen Kurden in einem ungeheuren Gewaltakt ein für allemal zu lösen; in acht aufeinanderfolgenden Offensiven wurden weite Teile Irakisch-Kurdistans menschenleer gemacht; zuerst wurde gegen zahlreiche Dörfer Giftgas eingesetzt, die Überlebenden wurden dann teils in den Südirak deportiert und umgebracht, teils in neuerrichteten Siedlungen entlang der Hauptstraßen untergebracht. Der Aufenthalt in den geräumten Landesteilen war verboten, wer sich dort aufhielt konnte umstandslos getötet werden. Die Zahlenangaben zur Anfalkampagne schwanken stark, offiziell geht man in Kurdistan von 180.000 Menschen aus, die den Mordaktionen zum Opfer fielen; um die 4000 Dörfer und Ansiedlungen wurden planmäßig Haus für Haus zerstört. Nach der Befreiung von Saddam Hussein 1991 war der Nordirak in den meisten Landesteilen ein praktisch völlig zerstörtes Land, das neu besiedelt werden musste. Wichtig ist es auch, daran zu erinnern, dass die irakische Giftgasproduktion mit Hilfe deutscher Firmen zustande kam.

WADI ist seit nun dreißig Jahren gezielt in den Regionen Irakisch-Kurdistans aktiv, die von der Anfal-Kampagne und den damit einhergehenden Giftgasangriffen betroffen waren. Dazu gehören die Gebiete Germian südwestlich von Suleymaniah und Halabja an der iranischen Grenze. WADI hat in den vergangen Jahren die kommunalpolitische Selbstartikulation und Vernetzung von Dörfern gefördert, die von Giftgasangriffen betroffen waren, dazu gehörten eine Reihe von Kleinprojekten, wie die Einrichtung von lokalen Bibliotheken und Spielplätzen. In diesem Rahmen hat WADI von Anfang an auch gezielt Projekte und Initiativen unterstützt, die sich der Erinnerung, Dokumentation und Auseinandersetzung mit der Geschichte der Anfal-Kampagne und dem Fortwirken ihrer Folgen in der Gegenwart widmen.
In Germian rund um das von der Anfal-Kampagne besonders schwer betroffene Dorf Göptepe und angrenzende Gemeinden hat sich daraus eine umfassende Spurensuche und Dokumentation der Opfer durch den Lehrer Hirmen Goptapi ergeben. Er schätzt, dass er die Namen und Fotografien der damaligen Opfer zu über 90% dokumentieren kann. Alleine um die 500 Bewohner Göptepes sind der Anfalkampagne zum Opfer gefallen, etwas mehr als 100 davon durch Giftgas, die anderen sind in die südirakische Wüste deportiert und dort umgebracht worden. Heute hat der Ort rund 1000 Einwohner.
Hirmens neuestes Projekt ist die Dokumentation eines der Wüstenforts an der saudischen Grenze, wohin Kurden deportiert wurden. Dort muss man nur mit dem Fuß über den Boden scharren, um Knochen und Kleidungsreste freizulegen. Diesen Ort will Hirmen in seinem Erhaltungszustand fotografisch dokumentieren und Erinnerungsstücke sammeln. Mit einem der Überlebenden, der damals ein zwölfjähriger Junge war und deshalb überlebte, weil er die Soldaten bediente, wird er dorthin fahren und die Örtlichkeiten und damaligen Abläufe rekonstruieren. Mit vier jungen Fotografen aus Germian möchte er dann diesen Ort systematisch fotografieren.
Um diese Form der unabhängigen Erinnerungsarbeit in ihrer Bedeutung wirklich ermessen zu können, muss man auch einen Blick auf das offizielle Gedenken werfen, das seine Form mit großen „Anfal- Monumenten“ gefunden hat, für die ein eigenes „Märtyrer-Ministerium“ zuständig ist. Die Überlebenden wie ihre Nachkommen fühlen sich von dieser Art der offiziellen und rein auf poltische Repräsentation ausgerichteten Erinnerung in der Regel weder angesprochen noch vertreten.
In Halabja, diesem Ort, der nach einem Giftgasangriff mit 5000 Toten 1988 zum Synonym für den brutalen Angriff auf die kurdische Zivilbevölkerung wurde, hat WADI mit NWE seit 2004 eine lokale Partnerorganisation, deren Gründung und Aufbau wir unterstützt haben.
Seit Wadi 1993 begann, in Irakisch-Kurdistan zu arbeiten, haben wir außerdem unzählige Projekte in Halabja unterstützt und tun dies bis heute. Immer waren sie auch mit der Forderung an jede seitdem amtierende Bundesregierung verbunden, sich endlich zu entschuldigen, denn ohne deutsche Hilfe hätte das Regime Saddam Husseins dieses Gas nie produzieren können.
Dann kam der Krieg in Syrien und weitere Giftgasangriffe. Erneut kamen Tausende zu Tode und nichts geschah … außer ein paar Reden über rote Linien und ein Abkommen mit dem syrischen Diktator, dass das Papier nicht wert war, auf dem es geschrieben wurde. 
Ein Jahr nach dem Massenmord an Zivilisten in den syrischen Ghoutas haben wir zusammen mit unserer syrischen Partnerorganisation Al Seeraj ein umfangreiches Dossier über Giftgas im Nahen Osten herausgegeben, an das wir noch einmal erinnern möchten, denn die Texte und Augenzeugenberichte, die wir damals, 2014, zusammengetragen haben, haben an Aktualität leider nichts eingebüßt.
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschränken sich an diesen Orten; der Vergangenheit und dem Erinnern Raum zu geben heißt auch, die Zukunft in den Blick zu nehmen. Diese eigentlich immer so seltsam inhaltsleeren Modefloskeln des NGO-Betriebs – Sustainability und Selfownership ist da gerade besonders angesagt – bekommen hier doch einen Sinn. Und alles hängt tatsächlich mit allem zusammen: Hero Wakel, die Leiterin von WADIs lokaler Partnerorganisation NWE in Halabja, antwortet auf die Frage nach der Bedeutung des Slogans von Green City Halabja, dem Umweltprogramm mit Jutebeuteln und Plastikrecycling, zuerst mit dem Hinweis auf den Giftgasangriff, der die Stadt zum Symbol gemacht hat.
„Wir waren davor eine grüne Stadt mit vielen Bäumen und Gärten. Und wir wollen Halabja wieder grün machen.“ Die Vergangenheit kann in Halabja schnell wieder präsent sein; auch die Mordtaten des „islamischen Staates“ haben gezeigt, wie virulent das genozidale Potential in der Region immer noch ist. Und so basiert auch ein Erinnerungsprojekt für Halabja, das mit Hilfe der Hans-Böckler-Stiftung umgesetzt werden soll, nicht etwa auf einem abstrakten „Gedenken“ – vielmehr soll auch hier die Vergangenheit mit der Zukunft verbunden werden. Ein „Memory-Trail“ – in der ersten Stufe sind sechs Tafeln vorgesehen, soll Besucher der Stadt über das Geschehen an jenem Tag im März 1988 informieren, als die irakischen Düsenjäger diese seltsam riechenden Bomben abwarfen. Aber auch die Entwicklung der Stadt seitdem, der Wiederaufbau und die massiven Veränderungen der letzten 30 Jahre werden zum Thema.
All diese Projekte zielen auf eine programmatische Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die das Besondere und letztlich auch Erfolgreiche der Arbeit in den „Giftgasdörfern“ darstellt; die Projekte sind im Vergleich klein angesetzt, die eingesetzten Mittel gering, aber die Arbeit hat sich kontinuierlich entwickelt.