Die Green City Halabja Kampagne

Lokale Organisation und die Stadtverwaltung von Halabja haben sich zu der Umweltkampagne #Green City Halabja zusammengetan. Erinnerung an die Giftgasangriffe von 1988 sollen mit dem Einsatz für eine bessere Zukunft verbunden werden. 

von Owen Grainger, Halabja

P1010513

Vor Ort gefertigter Sammelbehälter für Plastikflaschen

Der Klimawandel ist in Kurdistan zu einem brisanten Thema geworden. Junge Menschen haben sich über soziale Medien und globale Bewegungen wie Fridays for Future mit anderen vernetzt. Sie schauen sich um und sehen die drohende Umweltkatastrophe bei sich vor der Haustür: Im Sommer 2021 herrschte eine verheerende Dürre, die die Wüstenbildung verstärkte, die Ernte bedrohte und den Zugang von Millionen von Menschen zu Wasser gefährdete. Laut jüngstem UN-Klimabericht gehören der Nahe Osten und die Levante zu den drei globalen Regionen, die weltweit am stärksten vom Klimawandel betroffen sind und sein werden. Die Menschen erleben bereits die ersten Auswirkungen und sind sehr besorgt über ihre Zukunft in der Region.

Im gesamten Nahen Osten herrscht “Umweltalarm”, und der Irak war als großer Ölproduzent jahrzehntelang kein Ort, an dem grüne Maßnahmen und Ideen besonders populär gewesen wären. Aber die unbestreitbaren Auswirkungen des Klimawandels auf die Region sind zu gravierend, um ignoriert zu werden. Selbst dort, wo das Öl billig ist, erkennen die Menschen, dass es die Umwelt zerstört und dass diese Ressourcen auch irgendwann zur Neige gehen werden. Die Leute werden sich der negativen Auswirkungen bewusst, die Plastikmüll, nicht recycelter Müll und Müllverbrennung auf ihr Leben und das ihrer Familien haben.

Verantwortung gegenüber der Vergangenheit: Für eine bessere Zukunft

In Halabja, einer landwirtschaftlich geprägten Gegend, sind die möglichen verheerenden Auswirkungen des Klimawandels in den Köpfen der Menschen präsent. Der Landstrich leidet noch immer unter den tödlichen Folgen der chemischen Angriffe Saddam Husseins. Im Rahmen seiner Kampagne gegen die kurdische Bevölkerung während der Anfal-Kampagne im Jahr 1988 wurde die Stadt mit Sarin und Senfgas angegriffen, wobei zwischen 3200 und 5000 Menschen getötet wurden oder lebenslange Verletzungen und gesundheitliche Beeinträchtigungen davontrugen. Von Anfang der 1990er Jahre bis 2003 stand die Stadt unter der Kontrolle der islamistischen Gruppe Ansar al-Islam, die brutal herrschte, die Dorfbewohner*innen terrorisierte und den Frauen ihre grundlegendsten Rechte entzog.

Zum  34. Jahrestag des Bombardements Halabjas mit Giftgas haben sich deshalb verschiedene Gruppen mit der Stadtverwaltung zusammengetan, um das in der Region bislang beispiellose Green City Halabja-Programm (Grüne Stadt Halabja) ins Leben zu rufen. Am 16. März wurde diese Kampagne der Öffentlichkeit vorgestellt – als eine neue Form des Gedenkens an Gasangriffe,  das vor allem auf die Bewahrung der Lebensgrundlagen für künftige Generationen abzielt: Verantwortung gegenüber der Vergangenheit heißt auch, so die Botschaft, gemeinsam für eine bessere und lebenswerte Zukunft zu arbeiten.

Nach Beendigung der offiziellen Feierlichkeiten wurden die Einwohner von Halabja an diesem Tag zu einer Pressekonferenz in den neuen Chakakaren Park geladen. Dieser Park, derzeit mit einhundert Maulbeerbäumen, soll bald eine blühende, mit einheimischen Arten bepflanzte Grünanlage sein und dann auch als Treffpunkt für Seminare und kulturelle Aktivitäten dienen.

Trotz des für die Jahreszeit ungewöhnlich kalten und sogar verschneiten Wetters kamen viele Einwohner*innen der Stadt, um ihre Unterstützung für die Kampagne zu zeigen. Mitarbeiterinnen von WADIs lokaler Partnerorganisation NWE richteten eindringliche und bewegende Worte an die Presse, in denen sie die Entschlossenheit der Bürger von Halabja zum Ausdruck brachten, ihrer Stadt eine bessere Zukunft zu sichern. Der Park soll nicht nur Lehrzwecken und der Erholung dienen, sondern die gepflanzten Bäume werden auch an die Tausende von Toten erinnern, die am 16. März bei den Angriffen qualvoll zu Tode kamen.

Plastik wird recycelt und landet nicht im Müll

Nachdem die Erklärung der Kampagne verlesen worden war, begaben sich die rund sechzig Umweltschützer*innen zur Eröffnung der Recyclingwerkstatt ShredUp, einem weiteren, wichtigen Teilprojekt der #GreenCity Kampagne. Das Ziel dieses Plastikrecyclingprojekts besteht darin, auf die Zerstörung des Ökosystems durch Plastikabfälle hinzuweisen und zu zeigen, wie man dagegen vorgehen kann – nämlich, indem man den Wert von Plastik als Rohstoff öffentlich vermittelt und gleichzeitig ein effizientes Recyclingsystem in der Stadt einrichtet, das die Mengen an Plastik und anderen potenziell wiederverwertbaren Abfällen, die auf Mülldeponien landen, deutlich reduziert. Das Team hat kleine Recycling-Anlagen errichtet, mit denen Kunststoffabfälle gewaschen, geschreddert, extrudiert und gepresst werden können, um daraus neue, haltbare Produkte herzustellen.

esta media

Aus einem Fernsehbeitrag über das Recycling-Center

Zu vielen Schulen in der Stadt wurden gute Beziehungen aufgebaut und dort regelmäßig Umweltseminare abgehalten. Außerdem werden dort vor Ort hergestellte Sammelbehälter für Kunststoffabfälle aufgestellt. Als Gegenleistung für die Partnerschaft sollen den Schulen recycelte Kunststoffmöbel gespendet werden, um den Schüler*innen direkt zu zeigen, in was ihr „Plastikmüll“ verwandelt werden kann. Das Recycling-Team kooperiert nicht nur mit den Schulen, sondern auch mit der Universität von Halabja, verschiedenen lokalen Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Gruppen. Es gab bereits mehrere Müllsammelaktionen an nahe gelegenen Orten, und die Menschen in der Gegend sind sehr froh darüber, dass sie ihre wiederverwertbaren Abfälle vor Ort abgeben können, damit sie vom Team verwendet oder zu einem geeigneten Unternehmen zum Recycling gebracht werden können.

Ein grünes Jahr

Die am 16. März vorgestellten Projekte sollen in diesem Jahr, das offiziell von Stadtverwaltung zum „Grünen Jahr“ erklärt wurde, ausgedehnt werden.  Neben dem Park, dem Recyclingzentrum und natürlich der laufenden Umweltarbeit von NWE (Herstellung von Baumwoll-Tragetaschen mit dem Ziel der Abschaffung von Plastiktüten, Umwelterziehung in Schulen, Müllsammelaktionen, usw.) gibt es weitere geplante Projekte: Es besteht ein echter Mangel an Informationen darüber, wo man die schöne Umgebung von Halabja genießen kann.

Daher sollen markierte Wanderwege mit Informationen wie Start- und Endpunkt, Gesamtdistanz, Schwierigkeitsgrad, Höhenunterschiede und Wildtiere/Pflanzen, auf die man achten sollte, eingerichtet werden, damit die Menschen in Halabja und anderswo in der Natur spazieren gehen können – und das in der Gewissheit, dass der Weg frei von Landminen ist. In der Stadt selbst soll ein „Pfad der Geschichte und der Erinnerungen“ eingerichtet werden, um Besucher*innen ebenso wie Stadtbewohner*innen sowohl den Horror der Angriffe als auch die Geschichte Halabjas näher zu bringen. Anhand informativer Schilder mit Bildern und Texten wird den Menschen gezeigt, wie die Stadt vor ihrer Zerstörung aussah und wie sie sich seitdem verändert hat.

Ein Erfolg dieser Kampagne wird den Bürgern Irakisch-Kurdistans und der gesamten Region zeigen, dass die Bürger selbst es in der Hand haben, die drohenden Umweltgefahren einzudämmen, die für immer katastrophalere Konsequenzen sorgen, da die Regierung wenig bis gar nichts unternimmt. Denn das Schicksal der Stadt Halabja steht symbolisch für die Geschichte von Unterdrückung und Verfolgung in Kurdistan: Gelingt ein solches Pilotprojekt hier, wird es anderen in der Region als Vorbild dienen.

Wadi ist seit vier Jahren aktiv an dieser und an anderen Umweltkampagnen  beteiligt und hat das Engagement vor allem in den letzten Monaten verstärkt, um sicherzustellen, dass die Green City Halabja Kampagne ihr Potenzial voll ausschöpft. Zeitgleich organisierten unsere Mitarbeiterinnen auch in Erbil ein Umweltfestival zusammen mit verschiedenen Partnerschulen.  Die Erfahrung und das Engagement der Mitarbeiter*innen, insbesondere auf lokaler Ebene, sind für die Kampagne unverzichtbar.

Helfen Sie uns, dass das „Grüne Jahr“ zu einem Erfolg wird!

Wadi unterstützt seit Jahren verschiedene Umweltprojekte in Halabja und ist maßgeblich in Zusammenarbeit mit NWE, Shred-UP und der Stadtverwaltung an den Planungen für das Green City Halabja Projekt beteiligt. Bitte unterstützen Sie diese wichtige Initiative mit Ihrer Spende.