Nachruf auf ein Gründungsmitglied von Wadi

Ende November verstarb Wadi Gründungsmitglied Andreas Kosmalla. Anbei dokumentieren wir unseren Nachruf, der gestern auf der Trauerfeier verlesen wurde.
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Die traurige Nachricht von Andreas Tod erreichte mich kurz bevor mein Flug in den Irak ging. Von hier, aus unserem Büro in Suleymaniah, schreibe ich deshalb diese Zeilen.
 
Und ja, vielleicht säße ich gar nicht hier, hätten wir uns nicht im Sommer 1991 getroffen. Denn Andreas war aktives Gründungsmitglied unseres Vereins WADI als dessen Geschäftsführer ich immer noch fungiere. Und wohl kaum jemand von uns hätte damals gedacht, dass dieses Land uns noch so lange so beschäftigen würde.
 
Das letzte Mal sahen wir uns 2017 als Wadi in Berlin einen Menschenrechtspreis bekam und alle „alten Hasen“ zu diesem Event kamen. Leider waren wir danach nur noch digital in Kontakt und ich wusste zwar von seiner Krankheit, nicht aber, wie weit sie schon fortgeschritten war.
 
Immer wenn ich an die Zeit 1991 zurückdenke, als wir uns kennenlernten, damals arbeiteten Andreas und die anderen vom Verein Weißdorn in Basra, wir etwas weiter nördlich in Amara im Südirak, erscheint vor meinem inneren Auge eine ganz prägnante Szene. Die Küche unseres Büros, Andreas und ein Freund als Besucher. Und mitten im Südirak, unter schwierigsten Bedingungen spielte sich dort in amüsant-absurder Weise jene deutsch Ost-West Begegnungen ab, die man sich heute kaum noch vorstellen kann. In dieser Küche hing, schließlich waren wir aufrechte radikale Westlinke, ein Bild von Karl Marx und aus dem leiernden Kassettenrekorder kamen die Klänge von The Cure. Andreas hatte es weder mit einer besonderen Bewunderung von Marx, dessen Konterfei für sie doch zu viele Plakate in der DDR geschmückt hatte, und The Cure oder andere Punk bzw. New Wave Bands schienen ihnen etwas arg dekadent.
 
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Sie kamen aus einer Diktatur, gegen die sie sich 1989 aufgelehnt hatten, für uns war die Wiedervereinigung vor allem eine unangenehm völkisch-national konnotierte Angelegenheit. Sie wussten, was ein vom Geheimdienst kontrollierter Staat war, wir lernten erst im Irak, dieser „Republik der Angst“, wie ein bekannter irakischer Intellektueller sein Land richtig nannte. Auch wir waren gegen Krieg, aber nach einigen Monaten im Irak begannen wir erste Zweifel zu entwickeln, ob es nicht besser gewesen wäre, die USA und andere wären einfach nach Bagdad weitermarschiert und hätten Saddam gestürzt. Anders als Andreas lernten später dann auch den Irak aus kurdischer Sicht kennen und hatten mit ihm viele Kontroversen, weil wir 2003, auch in Solidarität mit unseren kurdischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den zweiten Golfkrieg nicht mehr ablehnten. Wir wussten: Im Süden und vor allem Norden des Landes würden die Amerikaner als Befreier begrüßt.
 
So viele festen Überzeugungen gerieten damals schon, am Küchentisch in Amara ins Wanken und wir lernten von den „Weißdornern“ einen ganz anderen Blick, sie wohl auch von uns, wie ganz anders in den bundesrepublikanischen 80ern solidarisierte Linke die Welt sahen. Oh ja, es gab viel Streit und viele Köpfe wurden geschüttelt, derweil der Arrak in Strömen floss, jene arabische Version des überall Region beliebten Anisschnaps. Manche, die jetzt zuhören mögen staunen, aber überall im Nahen Osten sind Irakis dafür bekannt viel und oft zu trinken. Vermutlich aus denselben Gründen, warum wir es so exzessiv taten: Um all das Grauen und die Grausamkeit, das Elend und die Angst, die damals ihr Leben bestimmten zu vergessen.
 
Im Nachhinein muss ich heute sagen, es war schon der Wahnsinn, was wir alle damals erlebt haben. Heute gibt es Coaching und psychologische Betreuung und keine seriöse Organisation ließe Anfang und Mitte Zwanzigjährige in solche Krisengebiete ohne jede Vorbereitung fahren. Uns alle haben für immer geprägt, niemand kommt aus dem Irak, als die oder derjenige zurück, der dort unbedarft hinfuhr.
 
Auch wenn Andreas, obwohl er es immer plante, es leider nie nach Kurdistan geschafft hat, weiß ich, dass er in Gedanken uns immer begleitet hat, sich sorgte, vor allem, wenn es hier mal wieder bleihaltig wurde, und ihm in seiner Arbeit Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak immer ganz besonders am Herzen gelegen haben. Ich bin sicher, er wird ihnen ein ganz anderes Verständnis entgegengebracht haben, als Leute, die nicht wissen, was es bedeutet in solchen Staaten leben zu müssen.
 
Es dauerte damals sehr lange bis Menschen im Südirak uns vertrauten, alle fürchteten, auch wir würden für den Geheimdienst arbeiten. Irgendwann taten sie es und so erfuhren wir nicht nur, in welchem Ausmaß das Regime folterte und tötete, sondern saßen eines Abends mit guten Freunden in einem Garten bei lauter Musik (damit niemand unsere Gespräche mithören konnte) und sie sagten: Es ist toll, dass Ihr hier Kindern und Frauen helft, aber wenn Ihr uns wirklich helfen wollt, bitte geht nach Kurdistan, denn dort gelang der Aufstand und sie haben sich von Saddam befreit. Und das ist der Anfang unserer Befreiung.
 
Wir befolgten die Bitte. So kamen wir nach Kurdistan und blieben. Für meine jüngeren Kolleginnen und Kollegen hier ist der Saddam-Terror Geschichte. Sie können sich nicht mehr vorstellen, was diese Angst war, die den Irak ausmachte. 2003 wenige Monate nach dem Sturz Saddams fuhr ich mit einem kurdischen Freund zurück nach Amara, um Zeugnis die Botschaft zu überbringen, dass wir der Bitte von damals Folge geleistet haben. Ich schickte Andreas Bilder von dem Gebäude, das einst jenes Büro, in dessen Küche wir saßen und er schickte mir eine mail zurück, wie sehr er sich freue.
 
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Das alte Büro von uns in Amara

 
Wir hätten ihn hier gerne zu Besuch gehabt. Nun, ich werde am Tag der Trauerfeier eine Kerze für ihn anzünden und The Cure hören und meinen guten Freund Abdullah, den wenigstens Andreas 2017 in Berlin kennenlernte und der Wadi seit 1993 verbunden ist, bitten, da ich es nicht mehr tue, ein Glas irakischen Dattelarrak auf ihn zu trinken und ihm auf arabisch: Mpsachteck und kurdisch: Nosch zuzuprosten.
 
Apropos Arrak. In Bagdad gibt es eine bekannte Ausgehstraße, in der eine für den Irak berühmte Sorte Fisch gegrillt wird, zu der man traditionellerweise diesen Schnaps trinkt. Sie ist nach dem Dichter Abu Nuwas benannt, der im 8 Jahrhundert lebte und das Leben, den Wein und die Liebe sowohl zu Menschen – besonders Frauen – und Gott pries. Wenn wir in Bagdad waren sind wir abends dort immer hin gegangen.
 
Andreas war, anders als ich, ein religiöser Mensch, und so gebe ich ihm auf die Reise, die er angetreten hat, das letzte Gedicht mit, das, vor seinem Tod, Abu Nuwas zum Lobe Gottes verfasst hat:
 
“I die of love for him, perfect in every way,
Lost in the strains of wafting music.
My eyes are fixed upon his delightful body
And I do not wonder at his beauty.
His waist is a sapling, his face a moon,
And loveliness rolls off his rosy cheek
I die of love for you, but keep this secret:
The tie that binds us is an unbreakable rope.
How much time did your creation take, O angel?
So what! All I want is to sing your praises.”
 
Thomas von der Osten-Sacken für alle ehemaligen und noch heutige aktiven Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Wadi
 
Wir danken allen, die bei der Trauerfeier dem Wunsch der Hinterbliebenen nachgekommen sind, und für die Kollekte für Wadi gespendet haben.