In Halabja betreiben nun Flüchtlinge ihr eigenes Radioprogramm. Das Team besteht nur aus Frauen. Es ist ein Pilotprojekt in der Region.
Das Programm ,,Flüchtlinge für Flüchtlinge“ begann am 1. Februar 2016 und erfreut sich seitdem großer Beliebtheit. Weil es Radios fast überall gibt, kann man auf diesem Wege auch Menschen in den Flüchtlingslagern erreichen, wo das Leben einerseits sehr langweilig, andererseits aber auch extrem belastend ist.
,,Denge Nwe“ nahm mit der Unterstützung von WADI e.V. vor 10 Jahren als erstes unabhängiges Community-Radio im Irak seinen Betrieb auf. In den vergangenen Jahren konnte der Sender Zehntausende Zuhörer/innen für sich gewinnen. Das Radio versorgt die Region mit unabhängigen Nachrichtensendungen über Demokratie, häusliche Gewalt, Partnerschaft, Scheidung, Familienplanung, Zwangsehen, Genitalverstümmelung und Ehrenmorde. Das Programm ,,Flüchtlinge für Flüchtlinge“ ist das neueste Projekt des Senders. Es dient auch der Ausbildung von angehenden jungen Journalistinnen.
Hanin aus Fallujah, einer Stadt im Westirak, die von ISIS kontrolliert wird, ist eine der neuen Journalistinnen. Sie erhielt bis vor Kurzem in Halabja eine Ausbildung und ist jetzt täglich im Rahmen des Programms ,,Flüchtlinge für Flüchtlinge“ auf Sendung.
Halabja gilt eigentlich als sehr konservative und islamische Stadt. In einem Interview erklärte Hanin kürzlich ,,Halabja ist eine wunderbare Stadt, wo wir als Frauen respektiert werden und uns frei bewegen können.“ Hanin hofft, dass auch Fallujah eines Tages so offen und schön wie Halabja sein wird. Ihre Hoffnung motiviert sie, denn eines Tages möchte sie auch in ihrer Heimatstadt, die sich noch unter der Kontrolle des islamischen Staates (IS) befindet, ein Community-Radio gründen.
Eine Kampagne für gegenseitiges Verständnis
Die Kampagnen ,,Halabja für Frieden und gemeinsames Leben“ und das Programm ,,Flüchtlinge für Flüchtlinge“ sind Teil der gleichen Kampagne für ein gutes Miteinander und eine Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen in der Stadt.
Im Sommer 2015 entschieden sich irakische Kurden aus Halabja, die bei Saddams Giftgasangriff selbst flüchten mussten, syrischen Flüchtlingen und irakischen Binnenvertriebenen (insbesondere aus Anbar und Mosul) zu helfen. Ihr Ziel ist es, in Halabja Erfahrungen auszutauschen, neue Fähigkeiten zu erlernen und zu versuchen, die Spannungen unter den verschiedenen Gruppen abzubauen.
Mit der Unterstützung des Frauenzentrums in Halabja und von Radio ,,Dangue Nwe“, einem langjähriger Partner von WADI e.V., wurde das Programm entwickelt.
Obwohl die Teilnehmer/innen zunächst mit Wohlwollen kamen, gab es ein Gefühl des Misstrauens zwischen den verschiedenen Gruppen. Unterschiedliche Sprachen und unterschiedliche politischen Ansichten galt es, zu überwinden.
Guliana, 18 Jahre alt, aus Qamishlo sagt: ,,Ich bin sehr glücklich, dass es hier keine Diskriminierung gibt und dass dies ein Ort ist, wo sich jeder respektiert, und dass man sich wie in einer Großfamilie liebt.“
Aufgrund des Erfolgs wurde die Kampagne in ,,Halabja für Frieden und gegenseitigem Respekt“ umbenannt. Das Projekt bietet Vielen die Gelegenheit, zusammen zu kommen, eine neue Sprache zu lernen, an Näh- und Handarbeitskursen teilzunehmen, einen Computerkurs zu belegen, und auch zu lernen, wie man dringend benötigte gesellschaftliche Initiativen organisiert. Das Projekt bietet zugleich viele wirtschaftliche Möglichkeiten für die Flüchtlinge – ein wichtiger Aspekt.
Khadija, 36 Jahre alt, aus Qamishlo erklärt: ,,Wir wollen hier bleiben und nicht nach Europa gehen, aber dafür müssen die Flüchtlinge finanziell und psychologisch unterstützt werden.“
Warum nicht auch ein Radio für Flüchtlinge?
Im Laufe dieser Kampagne kam die Idee des Radioprogramms „Flüchtlinge für Flüchtlinge“. Das Community-Radio hat den jungen Journalisten eine großartige Plattform zur Verfügung gestellt. Viele werden von ihren Familien ausgegrenzt und freuen sich jetzt, mit ihrer Karriere durchstarten zu können und die Chance zu erhalten, ihr Leben nach ihren eigenen Bedingungen leben zu können. Der Bruch mit der Familie kann auch der Beginn eines neuen Lebens sein.
Alle jungen Frauen sind hochmotiviert und wollen qualitativ hochwertige Inhalte produzieren. Sie nehmen ihre Arbeit sehr ernst.
So erklärt die 22-jährige Leyla aus Hesseke, die sich im ersten Jahr ihres Jurastudiums befindet: ,,Ich war für sechs Monate krank geschrieben, nachdem ich mein Studium beenden musste. Durch die Arbeit beim Radio fühlte ich mich besser.“ Leyla kam ursprünglich für einen Nähkurs nach Halabja, entschied sich dann aber für eine Ausbildung zur Journalistin beim Programm ,,Flüchtling für Flüchtlinge“.
Ein langfristiges Ziel von WADI ist es, mit dem Community-Radio die Grundlagen für die Zukunft dieser Menschen zu schaffen, sollten sie eines Tages wieder in ihre Heimatländer zurückkehren können.
Ein weiteres Teammitglied ist Hiva, sie ist 28 Jahre alt und kommt aus Kobane. Einen Monat nach ihrer Ausbildung ist sie nun eine der Moderatorinnen für die Sendungen in Arabisch und Kurmançî. Sie führt auch Interviews durch. Hiva studierte zwei Jahre lang Philosophie an einer Universität im Libanon, sowie zwei Jahre Wirtschaft an der Universität Aleppo. Sie ist verheiratet und hat einen Sohn. Ihr Mann arbeitete als Auftragnehmer, doch sie lebten sehr schlecht. Hiva erzählt, dass sie viel Lob für ihren Einsatz im Radio bekommt, und das macht sie glücklich. Hivas Traum ist es, als Radiomoderatorin in Syrien zu arbeiten – sollte eine Rückkehr jemals möglich sein.
Investition in eine bessere Zukunft
Diesen Gedanken teilt auch Hanin: ,,Ich bin sehr dankbar, hier als Journalistin arbeiten zu dürfen. Vor vier Jahren noch hatte ich nichts zu tun, und jetzt bin ich so glücklich. Ich hätte niemals gedacht, dass so etwas möglich ist. Ich habe jetzt viel mehr Selbstvertrauen und bin offen, kann mit Menschen reden. Ich mag auch sehr, daß wir so ein gemischtes Team sind.“
Zwischen all den Turbulenzen im Nahen Osten beweisen solche Projekte, dass eine andere Realität des Zusammenlebens und der Zusammenarbeit möglich ist. Die meisten Frauen in Halabja waren einst Flüchtlinge und flohen in den Iran, nachdem Saddam ihre Stadt zerstört hatte.
,,Wir wissen wie es ist, in einem Flüchtlingscamp zu leben“, sagt Hero, eine Überlebende der Giftgasangriffe. ,,Wir hatten damals keine Unterstützung und versuchen daher, diese Frauen und Kinder, die aufgrund des Krieges flüchten mussten, mit offenen Armen zu empfangen.“
Bei der Eröffnungsfeier des Radios trug Hanin kurdische Kleidung, um so ihre Dankbarkeit auszudrücken. Allgemein wurde das in der kurdischen Gemeinschaft anerkannt, weil verschiedene TV-Sender über dieses Ereignis berichteten. Auch Al Jazeera Arabic drehte einen kleinen Dokumentarfilm über die neuen Radio-Journalistinnen bei der Arbeit.
Shadan kommt aus Halabja und gehört zur zweiten Generation der Community-Journalisten von Radio Dange Nwe. Vor drei Jahren bestand sie einen Kurs, den das Radio angeboten hatte. Jetzt ist sie selbst Trainerin und unterrichtet Hiva, Hanin, Souzan und Layla.
Dieses einzigartige Projekt wurde mit der Unterstützung von verschiedenen privaten Spendern und Mitteln aus dem Green Cross Switzerland ermöglicht.
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