Die #SafeAid Kampagne: Seit Anfang März berät und unterstützt Wadi verschiedene polnische und ukrainische Organisationen beim Aufbau von Programmen, die die Sicherheit aus der Ukraine fliehender Frauen und Kinder verbessern.
von Isis Elgibali
Dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine folgte die größte Flüchtlingswelle in Europa seit Ende des 2. Weltkrieges. Obwohl: Menschen aus der Ukraine, die wir in Polen getroffen haben, sprechen lieber von einer Evakuierung aus Kriegsgebieten. Sie wollen ungerne als Flüchtlinge erscheinen, denn für sie ist es eher ein Teil der gemeinsamen Anstrengung gegen den Aggressor, wenn aus den umkämpften Städten möglichst viele Zivilisten in sichere Nachbarländer gebracht werden.
Entsprechend anders stellen sich dann auch die Szenen in Polen dar, die wir Anfang März, als es dort noch sehr chaotisch zuging, gesehen haben: Nicht Kleider oder Nahrung waren das Hauptproblem vieler, die gerade aus der Ukraine gekommen waren, sondern die Versorgung ihrer mitgebrachten Haustiere. Entsprechend erstaunt zeigten sich viele dann auch über einige planlose Hilfsaktionen in Westeuropa, wo Kleider und Ähnliches gesammelt wurden. In den ersten Tagen trieb diese Hilfe einige seltsame Blüten: Da kam etwa eine Gruppe aus dem fernen Norwegen mit einem Lastwagen voller Mineralwasser, ganz so als gäbe es das nicht in Polen zu kaufen.
Vom ersten Tag an warnten wir von Wadi deshalb eindringlich vor Missbrauch und Gewalt.
Bei all dem geriet in Vergessenheit, was von Anfang an eine der wohl größten Herausforderungen bei Versorgung und Unterbringung der ukrainischen Evakuierten ist: Bei 80% von ihnen handelt es sich um Frauen und Kinder. Sie sind extrem gefährdet, an die Falschen zu geraten und Opfer von Missbrauch und Menschenhandel zu werden.

Von Wadi finanzierte Flyer
Vom ersten Tag an warnten wir von Wadi deshalb eindringlich vor Missbrauch und Gewalt. Lokale polnische NGOs hatten uns eingeladen, Ihnen bei der Entwicklung von Sicherheitsstandards in Krakau zu helfen, und so entstand schon Anfang März die #SafeAid Kampagne, deren Ziel es ist, überall dort, wo Frauen und Kinder aus der Ukraine versorgt oder transportiert werden, für ihren bestmöglichen Schutz zu sorgen.
#SafeAid: Sicherheit geht vor
Die Warnungen von uns wurden auch von internationalen Medien in Skandinavien, Deutschland und des USA aufgegriffen, wie hier etwa aus dem Miami Standard vom 10. März:
Einige Organisationen schlagen Alarm, dass kriminelle Organisationen versuchen, Flüchtlinge auszubeuten und sie in die Prostitution, den Drogenhandel und möglicherweise Schlimmeres zu zwingen. Shirin Tinnesand, Flüchtlings- und Migrationskoordinatorin der NGO Wadi, sagte, ukrainische Flüchtlinge seien der Gefahr ausgesetzt, von Kriminellen ausgebeutet zu werden: „Sie laufen Gefahr, Opfer von Menschenhandel, Prostitution und Organspenden zu werden. Nur die Vorstellungskraft setzt die Grenzen, was alles geschehen kann.“ (…) Tinnesand warnte auch, dass einige sich als humanitäre Helfer ausgeben würden, um unentdeckt agieren. (…) Aus Deutschland gab es Berichte über ähnliche Vorfälle, bei denen Männer Frauen und Kinder ansprachen und ihnen Bargeld anboten, damit sie bei ihnen „bleiben“ sollten.
Unsere polnischen und ukrainischen Partner, die noch nie mit einer solchen Krise zu tun hatten, konnten sich am Anfang nicht vorstellen, dass Hilfe manchmal eben eher schadet und leider sich unter Hilfsorganisationen inzwischen auch vermehrt sehr schwarze Schafe herumtreiben. Die unzähligen Korruptions- und Sexskandale aus letzter Zeit, in die selbst große und bekannte Hilfsorganisationen verwickelt sind, sprechen da eine sehr deutliche Sprache.

Auszug aus einem Bericht des norwegischen Fernsehens über das #SafeShelter Projekt
Ukrainische Frauen waren bereits in der Vergangenheit überdurchschnittlich häufig Opfer von Menschenhandel in Europa. Inzwischen haben auch viele europäische Regierungen, ebenso wie Polizei und UN, ihre tiefe Besorgnis über die Bedrohung für diese Frauen und Kinder zum Ausdruck gebracht. Aus ganz Europa mehren sich Berichte über Vergewaltigungen und Missbrauchsfälle. Solche Nachrichten verunsichern natürlich auch die Betroffenen aus der Ukraine, deren Angst, in falsche Hände zu geraten, deshalb nur zu verständlich ist.
Eine umfassende Kampagne
Woher wollen Sie eigentlich wissen, ob die Person, die Ihnen auf einem überfüllten Bahnhof eine Unterkunft anbietet, ein guter Samariter oder ein heimtückischer Mensch ist?
Angesichts solcher konkreten Bedrohungen sind Sicherheit und sorgfältige Datenanalyse wichtiger als Schnelligkeit. Ja, da scheint es sogar besser, ein oder zwei Tage in einer Notunterkunft zu warten, bis man mit einer überprüften Gastfamilie in Verbindung gebracht wird, als zu riskieren, dass Frauen und Kinder in dem Chaos „verschwinden“.
Umso dringender war es, das #SafeAid Programm so schnell und unter enormem Druck ins Leben zu rufen:
In Zusammenarbeit mit den lokalen Organisationen SalamLab und JCC Krakau arbeiten wir deshalb an einem von lokalen IT-Expert*innen entwickelten und betreuten Sicherheitssystem, das sich #SafeShelter nennt. Es wird potenzielle Gastgeber*innen, Transportunternehmen und NGOs überprüfen, bevor sie mit den ukrainischen Evakuierten in Kontakt kommen. Die Plattform führt Hintergrundprüfungen durch, die durch geeignete Tools, wie Analyse von Banküberweisungen, Datenermittlung aus sozialen Medien und Identifizierung durch Identitätsprüfung, unterstützt werden. So wird sichergestellt, dass Sie wirklich der sind, für den/die Sie sich ausgeben.
Vorstellung der #SafeShelter Plattform
Außerdem konnten wir aufgrund unserer langjährigen Erfahrung mit Schutzhäusern für Frauen helfen, die Situation in bestehenden Notunterkünften zu verbessern und unseren Partnern bei der Akquise dringend benötigter Gelder unterstützen. #SafeAid schließt auch Hintergrundüberprüfungen von internationalen Transporten nach Westeuropa ebenso mit ein wie eine Zusammenarbeit mit der lokalen NGO Stowarzyszenie Mudita, die sich um Flüchtlinge mit Behinderungen kümmert. Anfang März halfen wir außerdem verschieden zivilgesellschaftlichen Akteuren und städtischen Behörden dabei, ein System zu entwickeln, um das Chaos am Bahnhof von Krakau unter Kontrolle zu bekommen. Seitdem hat sich an diesem neuralgischen Ort die Lage nachhaltig verbessert.
Mit unserer Hilfe konnten unsere Partner auch erste Plakate drucken, die vor den Gefahren warnen und auf Hotlines und Notrufnummern verweisen.
Martyinka: Hilfe zur Selbsthilfe
Außerdem kontaktierten uns ukrainische Frauen, die sich selbst organisieren wollten, um anderen zu helfen.
Eine dieser Gruppen nennt sich Martynka und bietet eine 24/7-Helpline und einen Bot-Service auf Telegram und Instagram an.. Die Idee lässt sich, so Mitgründerin Nastia Podorozhnia, am besten als „vertrauenswürdige Freundin“ für ukrainische Frauen in Polen in Worte fassen:
„Wo immer Du gerade bist und was Du erlebst, ob im Zug, an der Grenze, bei der Polizei oder in einer polnischen Stadt: Du hast eine Freundin, die Dich begleitet: Martynka. Und man sieht es auf dem Bild: Martynka hat ein Schwert, um Dich zu beschützen.“
Die Martynka-App hat noch weitere Funktionen. So kann sie auch bei Übersetzungen helfen. „Sie“, d. h. eine Mitarbeiterin von Martynka, kann Frauen etwa virtuell zu Arztbesuchen oder zur Polizei begleiten. Sie kann Kontakte vermitteln, die von medizinischer, psychologischer und rechtlicher Beratung bis hin zur Unterstützung bei der Arbeitssuche reichen. Martynka vermittelt auch wichtige Informationen über die polnischen Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch und zur Empfängnisverhütung in Polen. Während Abtreibung in der Ukraine legal ist, ist sie in Polen weitestgehend illegalisiert.
Und nun kommt noch eine ganz andere Herausforderung auf unsere Partner zu:
„Immer mehr Frauen, die von russischen Soldaten vergewaltigt wurden, wenden sich an uns. Wir bauen deshalb mit Psychologinnen ein Netzwerk auf, um diese Frauen zu betreuen und ihnen Hilfe anzubieten“, schreibt uns Nastia Podorozhnia.
Und sie hat eine Botschaft, die wir gerne vermitteln: „Was immer auch geschieht: Wir möchten nicht, dass Ihr uns als arme Opfer seht, als bedürftige Flüchtlinge. Ukranische Frauen sind stark und für diese Stärke steht Martynka. Wir möchten, dass Ihr uns dabei unterstützt, uns selbst zu organisieren!“
Das ist die Botschaft aller Wadi-Partner in allen Ländern, in denen wir arbeiten. Und so haben wir viele Pläne, um Martynka auch in Zukunft zu unterstützen. Bislang konnten wir Flyer und Sticker finanzieren, die nun in Lwiw, an der Grenze und in Krakau überall dort aufgehängt werden, wo sich Frauen aus der Ukraine aufhalten.
All diese Programme und Projekte laufen auf Polnisch, Ukrainisch und Englisch unter den Hashtags #safeaid und #helpresponsible.
Wir möchten uns ganz herzlich beim American Jewish Commitee und Solingen hilft e. V. für Ihre Unterstützung bedanken.
Auch sie können mit Ihrer Spende unter dem Stichwort #SafeAid dieser Kampagne helfen:
Spendenkonto:
Postbank Frankfurt
IBAN: DE43500100600612305602; BIC: PBNKDEFF
Konto: 612305602, BLZ: 500 100 60
Oder online über Paypal

Mit Hilfe von Wadi gedrucktes Plakat, dass vor Menschenhändlern warnt