Presseerklärung: Irakisch-Kurdische Regierung will weibliche Genitalverstümmelung vollständig abschaffen

Hilfsorganisation Wadi begrüßt diesen Schritt und hofft auf baldige Umsetzung.

Berlin und Suleymaniah den 15.01.2019

Die Kurdische Regionalregierung (KRG) im Irak und der UN Bevölkerungsfonds UNFPA wollen die Beschneidungsrate von Mädchen innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre auf Null senken. Das haben Regierungsvertreterinnen auf einem von UNFPA organisierten Expertentreffen zu weiblicher Genitalverstümmelung (FGM) im ägyptischen Alexandria erklärt.

Die UNFPA-Irak-Analystin Kara Agha stellte auf dem Treffen Ende November einen umfassenden Aktionsplan vor; die geplanten Maßnahmen sollen vor allem von der Regierung umgesetzt werden.

Wadi begrüßt diesen Plan als umfassende Fortführung der langjährigen Kampagne gegen FGM im Nordirak.

Der Aktionsplan beinhaltet fast jede Maßnahme, die Wadis Mitarbeiter/innen in den vergangenen zehn Jahren gefordert haben, von Moscheepredigten bis Elternversammlungen.

Wadi kämpft seit 2004 gegen weibliche Genitalverstümmelung (FGM) in Irakisch-Kurdistan – seit wir gewahr wurden, dass es diese brutale Beschneidung von Mädchen gibt.

Das war am Anfang nicht leicht. Nicht nur die Kurdische Regionalregierung (KRG), sondern auch die UN bestritten anfangs die Existenz des Problems.

Video über die erfolreiche Kampagne von Wadi

Das hat sich über die Jahre geändert. 2011 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das FGM unter Strafe stellt. Die Regierung richtete eine Behörde ein, die gegen häusliche Gewalt und FGM vorgehen sollte. UNICEF unterstützte ein gutes Jahr Wadis Kampagne zur Aufklärung über FGM. Doch dann hatte UNICEF kein Geld mehr – und auch sonst schien sich niemand mehr für das Thema zu interessieren.

Deshalb haben wir hocherfreut zur Kenntnis genommen, dass der UN Bevölkerungsfonds UNFPA zu einem regionalen Expertentreffen in Alexandria einlud. Die ersten beiden Konferenzen zu weiblicher Genitalverstümmelung im Nahen Osten hatte Wadi gemeinsam mit Hivos 2012 und 2014 organisiert. Anders als wir hatte UNFPA zwar keine Vertreterinnen aus dem Iran und dem Oman eingeladen. Aber immerhin hatte die UN-Organisation offenbar nach Jahren erkannt, dass man das Problem nicht immer nur im afrikanischen Kontext diskutieren kann.

Auf dem Treffen stelle Dr. Raizan Hussein vom kurdischen Gesundheitsministerium die Zahlen der jüngsten Studie von 2016 vor und erklärte, dass die Regierung vorhabe, die Rate der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM) in Kurdistan auf Null zu senken.

Eine Studie von Unicef und Heartland zeigt, dass die Bescheidungsrate seit dem Beginn der von Wadi betriebenen Aufklärungskampagne im Jahr 2006 deutlich gefallen ist.

In der Studie gaben 44,8 Prozent der befragten Mütter an, genitalverstümmelt zu sein. Aber nur 10 Prozent haben ihre Töchter dieser Prozedur unterzogen. Gerade in den Provinzen Suleymania und Halabja, wo Wadis Kampagne startete, sind die Raten deutlich zurückgegangen. Allein in der Provinz Erbil, wo die Aufklärungsarbeit erst vor vier Jahren begann, liegt die Rate noch bei knapp 20 Prozent.

Wadis Ansatz, mit verschiedensten Maßnahmen in allen Sektoren der Gesellschaft aufzuklären, ist somit aufgegangen.

Das hat nun auch die kurdische Regierung verstanden. Mit ihren Mitteln kann sie allerdings noch weit mehr erreichen. Dazu hat Wadi in den vergangenen Jahren viele Vorschläge entwickelt, auch gemeinsam mit UNICEF.

Diese Maßnahmen sollen nun mit Hilfe von UNFPA voll umgesetzt werden. Die wichtigsten Rollen kommen dem Ministerium für religiöse Angelegenheiten, dem Bildungsministerium und dem Gesundheitsministerium zu.

Das Religionsministerium soll alle Mullahs anweisen, über das Verbot weiblicher Genitalverstümmelung im Islam zu predigen. Eine solche Anweisung ist nichts Ungewöhnliches: Die Themen der Predigten werden in Irakisch-Kurdistan genauso wie in vielen anderen islamisch geprägten Ländern vom Religionsministerium vorgegeben. Allerdings hat es noch nie eine solche Anweisung in irgendeinem Land in Bezug auf weibliche Genitalverstümmelung gegeben.

Da viele Menschen in Kurdistan und anderswo, wo FGM praktiziert wird, glauben, sie kämen damit einer religiösen Pflicht nach, spielt die Haltung der Mullahs zu dieser brutalen Praxis eine entscheidende Rolle.

Die Mullahs sollen laut Aktionsplan jedoch nicht nur predigen, sondern die Gemeindemitglieder auffordern, die Hand zu heben, wenn sie bereit sind, sich für die Abschaffung von FGM in ihren Familien einzusetzen.

Das Bildungsministerium soll Schulungen für Lehrerinnen und Lehrer in allen Schulen durchführen. Die Lehrer sollen in Elternversammlungen über FGM aufklären und von den Eltern eine unterschriebene Erklärung einfordern, dass sie ihre Töchter nicht beschneiden werden.

Das Gesundheitsministerium wird die Belegschaft der Zentren für gesundheitliche Erstversorgung darüber unterrichten, wie sie mit jungen Eltern über die Gefahren weiblicher Genitalverstümmelung reden sollen. Diese Zentren finden sich im gesamten Land, auch in abgelegenen dörflichen Regionen. Dort werden unter anderem die Kinderimpfungen durchgeführt. Die Krankenschwestern sollen bei jedem Impftermin vor FGM warnen und die Mütter fragen, ob eine Beschneidung trotzdem stattgefunden hat – womöglich gegen den Willen der Mutter. Auf die Art sollen Daten erhoben werden, die darüber Aufschluss geben können, in welchen Regionen noch mehr Aufklärung notwendig ist.

Das Justiz- und Innenministerium sollen Polizei und Staatsanwaltschaft dazu anhalten, nach Verstößen gegen das Verbot von FGM Ausschau zu halten – und diese vor Gericht bringen.

Schließlich hat die Regierung vor, über die Bürgermeister Aufklärungsmaterial zu FGM in den Gemeinden verteilen zu lassen. Die Bürgermeister sollen zudem einen Kinderbotschafter in ihrer Gemeinde benennen, der sich ehrenamtlich für die Belange von Kindern einsetzen soll.

Diese Vorhaben stellen eine ideale Ergänzung der Aufklärungsarbeit dar, die Wadi bereits in vielen Gemeinden leistet.

Die Erfahrung hat allerdings gezeigt, dass, gerade wenn es um Gewalt gegen Frauen und Kinder geht, Maßnahmen nur ungenügend umgesetzt werden.

Wir werden die Regierung beim Wort nehmen und sie daran erinnern, ihr ambitioniertes Ziel konsequent zu verfolgen: Kurdistan FGM-frei zu machen bis 2028.

 

gez. Hannah Wettig,

Koordinatorin der „Stop FGM Mideast-Kampagne“