Der Nahe Osten und ganz besondere der Irak sind von einer ökologischen Katastrophe bedroht. Wie schlimm es um die Region steht, was Wadi versucht dagegen zu tun und welche anderen Projekte wir dieses Jahr durchgeführt haben, das alles steht in unserem Winter-Rundbrief.
Aus der Einleitung:
Liebe Spenderinnen und Spender, liebe Freundinnen und Freunde,
„Der Tigris stirbt“. So titelte AFP jüngst eine Reportage über die verheerende Wasserknappheit im Irak: Das Zweistromland nämlich trocknet förmlich aus. Für die Menschen dort, wie überall im Nahen Osten, ist die von Klimawandel und Umweltzerstörung verursachte Katastrophe, von der dieser Tage alle sprechen, längst bittere Realität, und die Folgen sind unmittelbar zu spüren und zu sehen.
Immer mehr einst landwirtschaftlich genutzte Fläche ist nicht mehr anbaubar und führt zu vermehrter Migration in die Städte, die Sumpfgebiete im Süden des Landes, mühsam wieder geflutet, nachdem Saddam Hussein sie hat trockenlegen lassen, schrumpfen in erschreckendem Tempo, während die Region Hitzerekord nach Hitzerekord durchleiden muss. Diejenigen von uns, die vom ersten Tag an bei Wadi dabei waren, erinnern sich noch, dass etwa in der irakisch-kurdischen Großstadt Suleymaniah Anfang der 90er Jahre im August es selten heißer als 40 Grad wurde. Diese Marke wird inzwischen schon Ende Mai erstmalig überschritten, während der Regen im Frühjahr und Herbst ausbleibt oder sich, wenn er denn überhaupt kommt, kurz und sintflutartig ergießt und dann mehr Schaden anrichtet, als zu helfen. Von solchen Überflutungen wird die Region immer häufiger heimgesucht. Pakistan, wo fast zwei Drittel des Landes unter Wasser standen, ist nur ein Beispiel. Eben dort hat ein Parlamentarier völlig zu Recht festgestellt, dass sein Land nicht einmal für ein Prozent der globalen Emissionen verantwortlich sei, aber mit die Hauptlast der Folgen des Klimawandels trage.
Über die Katastrophe
Die Katastrophe sei, notierte Walter Benjamin bereits in den 20er Jahren, nicht etwas, das bevorstünde, sondern dass es „so weiter“ gehe. „So weiter“ nur kann es nicht mehr lange gehen, ansonsten verlieren weitere Millionen ihre Lebensgrundlage – ganz zu schweigen von den Zerstörungen an Flora und Fauna, die schon jetzt überall in der Region unübersehbar sind. Wenn Bilder von verdursteten Elefanten und Zebras aus Ostafrika es immerhin noch in hiesige Medien schaffen, wird über so vieles, was gerade geschieht, schlicht nicht einmal berichtet.
Laut UN-Flüchtlingswerk nehmen Jahr für Jahr nicht nur die absoluten Zahlen von Menschen zu, die auf der Flucht sind zu, sondern auch von denjenigen, die unter dem Namen „Klimaflüchtlinge“ gefasst werden, die also nicht vor unmittelbarer politischer Verfolgung oder Kriegen fliehen, sondern weil ihre Existenzgrundlage zerstört wurde. Allein 2022 wurden über 20 Millionen Klimaflüchtlinge gezählt, nicht dazu gerechnet sind all jene, die ihre Dörfer verlassen müssen, um in Gigapolen nach einem neuen Lebensunterhalt zu suchen. Die allerdings platzen seit Jahrzehnten chronisch aus allen Nähten und Versorgung mit Wasser und Elektrizität wird immer schwerer. Gerade meldet etwa die Stadtverwaltung von Istanbul, dass alle Stauseen, aus denen die Bewohnerinnen und Bewohner ihr Wasser beziehen, bis zur Neige leer seien; in einem befänden sich noch 3,5% der regulären Füllmenge. Solche Hiobsbotschaften ließen sich fast beliebig weiter notieren, so lange, bis Resignation einsetzt und mit ihr die Reaktion: Es ist eh zu spät, warum also noch aktiv werden? Das allerdings ist immer die falsche von möglichen Reaktionen und sie liegt uns fern.
„Frau, Leben, Freiheit
Derweil protestieren im Iran junge Menschen unter dem Slogan „Frau, Leben, Freiheit“, und trotzen mit ihren Forderungen nach einem Ende der verhassten Diktatur den Sicherheitskräften des Regimes, die mit äußerster Brutalität versuchen, diese seit inzwischen zwei Monaten anhaltenden Demonstrationen niederzuknüppeln. Wie überall in der Region ist die Mehrheit der Bevölkerung jünger als 30 Jahre alt und wünscht nicht nur politische Freiheit und Gleichberechtigung, sondern ist sich auch sehr bewusst, dass ihre Zukunft gerade verspielt wird. Immer wieder sind wir überrascht, auf welche Resonanz unsere Umweltprojekte selbst in Grundschulen stoßen. Bis dorthin hat sich inzwischen herumgesprochen, dass es so nicht weiter gehen kann.
Die große Herausforderung: Trotz der Katastrophe sich nicht bange machen lassen. Weder den Eindruck vermitteln wollen, dass das, was wir tun, die Katastrophe aufzuhalten vermag, noch resignativ die Hände in den Schoß legen.
Wer also Alarm schlägt, ist kein Spielverderber oder Schwarzseher: Die Zeit, die noch bleibt, um etwas zu verändern, verrinnt, und zwar leider weitgehend ungenutzt. Die Diskrepanz zwischen der Situation vor Ort und den verzweifelten Bemühungen, das Unheil aufzuhalten, auf der einen Seite sowie den internationalen Reaktionen auf der anderen Seite könnte kaum größer sein. Sicher: Präsent in den Medien sind Großereignisse wie das Cop27-Treffen in Kairo, das ausgerechnet in einem Land stattfindet, wo Opposition brutalst unterdrückt wird und die Hoffnungen jener, die 2011 auf die Straße gingen, um für mehr Freiheit und Mitbestimmung zu demonstrieren, so bitter enttäuscht wurden. Zehntausende reisten an (darunter auch viele Lobbyisten von Mineralöl- und Autokonzernen). Es geht einmal mehr um hohe Milliardensummen und Prestigeprojekte, denn wer möchte heute nicht mit dem Label „grün“ sich schmücken? Fast Randnotiz bleibt dabei, dass die Vereinbarungen vorheriger Konferenzen, etwa die, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, längst Makulatur geworden sind. Man spricht inzwischen von 2,5 Grad, die dann allerdings, träte das Szenario ein, große Teile des Nahen Osten und der östlichen Levante unbewohnbar machen würden.
Leider allerdings sind Themen um Klima- und Umweltschutz auch Teil jenes großen Betriebes geworden, der dafür sorgt, dass es „so weiter“ geht. Welche Firma, Organisation oder Partei möchte dieser Tage nicht „grün“ sein? Auch für Hilfsorganisationen und ihre leider so oft zu einem Business verkommene Arbeit heißt das natürlich, fortan auch immer „ökologische Projekte“ mit auf die Agenda zu nehmen; das wird von Geldgebern und Spenderinnen und Spendern so erwartet.
Umwelt – Sprung auf einen fahrender Zug?
Springen also auch wir nur auf einen fahrenden Zug, wenn seit einigen Jahren bei Wadi Projekte im Bereich Umwelt- und Ressourcenschutz eine immer größere Rolle spielen? Versuchen wir, weil diese Themen gerade „in“ sind, nun auch unseren Teil des Kuchens zu bekommen?
Die Antwort lautet: Nein! Dass solche Kampagnen und Programme inzwischen einen wichtigen Teil unserer Arbeit sowohl im Irak als auch Griechenland ausmachen, hat sich vielmehr organisch aus vorherigen Projekten entwickelt. Aus der erfolgreichen „Nein zu Gewalt“-Kampagne etwa entstand vor Jahren schon die Idee, dass sich Gewalt eben auch gegen Umwelt und Tiere richte und man dies adressieren müsse. Partnerschulen baten unsere lokalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um entsprechende Seminare, und seit langer Zeit schon legen unsere Partner in Halabja großen Wert auf Umweltschutz.



Denn dieses Thema beschäftigt, wie oben schon erwähnt, gerade die jüngere Generation enorm. Täglich sind sie mit den Folgen von Umweltzerstörung und Ressourcenverschwendung konfrontiert und wissen, dass es auch um ihre Zukunft geht. Nur fehlen oft die konkreten Ansatzpunkte, was jede/r Einzelne jenseits von Kritik an Regierung und Industrieländern, die meist ungehört verklingt, tun kann. Hier setzen unsere Projekte, wie immer, an: da, wo Menschen leben und arbeiten. Denn Erfolg haben Projekte nur, wenn sie den regionalen Gegebenheiten gerecht werden – geleitet von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die selbst aus der Region stammen, im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache sprechen, die dort verstanden wird.
Nicht abstrakte Ideen, sondern konkrete Verbesserung von Lebensbedingungen stehen dabei im Vordergrund: Unsere Teams und die unserer lokalen Partnerorganisationen führen etwa Nähkurse in abgelegenen Dörfern durch und bringen dabei den Frauen bei, wie man alte Kleider upcyceln kann. Das stärkt ihre ökonomische Unabhängigkeit, spart Ressourcen und schafft Bewusstsein, dass gerade die industrielle Produktion von billigen Textilien, die überall zum Spottpreis zu haben sind, verheerende Auswirkungen hat: Nicht nur werden sie oft in Kinder- und Zwangsarbeit in Südostasien und China hergestellt, neben der Ölförderung und -verarbeitung ist die Modeindustrie auch der weltweit größte Umweltverschmutzer. So werden kurdische Dorfbewohnerinnen sich bewusst, dass ihre Tätigkeit auch global etwas bewirken kann. (…)
Beispiel macht Schule
Dass eine solche Kampagne nach nur wenigen Monaten so erfolgreich sein kann, liegt auch daran, dass Erfahrungen aus vorherigen in sie einfließen, sei dies die seit 2004 von uns durchgeführte gegen weibliche Genitalverstümmelung (FGM) oder jene gegen Gewalt an Schulen. Und nicht nur dies: An verschiedenen anderen Orten in der Region und auch in Griechenland wurde die Idee aufgegriffen. So konnten wir dieses Jahr nicht nur ein zweites Recyclingcenter in Kifri in Irakisch-Kurdistan eröffnen und zusammen mit jesidischen Campbewohnerinnen ein erstes Umweltprojekt in einem der Flüchtlingslager im Nordirak beginnen, auch auf Lesbos hat eine ähnliche Kampagne mit griechischen Partnerschulen und unserem dortigen langjährigen Partner, der selbstorganisierten Flüchtlingsorganisation „Moria White Helmets“, begonnen.
„Bange machen gilt nicht“
Diesen Spruch soll, so wird kolportiert, der Frankfurter Philosoph Theodor W. Adorno sehr oft benutzt haben, ausgerechnet er, dessen Denken doch so dem Negativen verhaftet war, von dem der Aphorismus stammt, dass es im Falschen kein Richtiges geben könne. Auch stimmte Adorno dem Gedanken seines Freundes Walter Benjamin zu, dass die Katastrophe darin bestehe, dass es so weitergehe.
Die große Herausforderung für uns und alle, die mit uns arbeiten, ließe sich so vermutlich am besten auf den Punkt bringen: Trotz der Katastrophe sich nicht bange machen lassen. Weder den Eindruck vermitteln wollen, dass das, was wir tun, die Katastrophe aufzuhalten vermag, noch resignativ die Hände in den Schoß legen.



Dieser Tage zeigen all jene, die auf den Straßen des Iran das Leben und die Freiheit feiern und sich angesichts eines überwältigenden Repressionsapparates nicht bange machen lassen, wie es gehen sollte. Ihnen gilt deshalb auch unsere ganze Solidarität, und wir wünschen ihnen von ganzem Herzen, dass ihr Wunsch nach einem besseren und freieren Leben sich im nächsten Jahr erfüllen möge.
Dies wünschen wir auch allen, die sich in der Ukraine der russischen Soldateska in den Weg stellen, die in elenden Flüchtlingslagern in Syrien auf eine bessere Zukunft hoffen und überhaupt jenen, die „geknechte und erniedrigte Wesen“ auch in diesem Jahr waren.
Ihnen, liebe Spenderinnen und Spender, möchten wir dagegen herzlich danken, dass Sie uns weiter die Treue gehalten haben. Wir danken für Ihr Vertrauen, dass wir Ihre Gelder sinnvoll verwenden, auch in Zeiten, die, bedingt durch Inflation und hohe Preise, es für viele nicht einfach macht, sich auf solche Art solidarisch zu zeigen.
Trotzdem bitten wir Sie, denn auch wir merken die Krise in so vielfältiger Weise, uns auch weiter mit Ihrer Spende* zu unterstützen:
IBAN: DE43500100600612305602; BIC: PBNKDEFF (Postbank Frankfurt) oder direkt online über Paypal
Über einige der Projekte, die dank Ihrer Hilfe möglich sind, möchten wir Ihnen in diesem Rundbrief auf den folgenden Seiten ebenso berichten wie über unsere erfolgreichen Aktivitäten für ukrainische Flüchtlinge in Polen. Sie können diesen Rundbrief herunterladen oder direkt online lesen.
In diesem Sinne wünschen wir Ihnen im Namen aller unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Partnerorganisationen frohe Feiertage und einen guten Rutsch ins neue Jahr.
Thomas von der Osten-Sacken (Geschäftsführer)
(*Spenden sind steuerlich abzugsfähig. Bis zu einer Summe von 300 Euro reicht der Überweisungsbeleg als Spendenquittung)