Spielplätze auf Rädern und umfassendes Aufklärungsprogramm für Kinder und Jugendliche: Im Jahr 2005 machte sich der erste Spielbus von Wadi auf den Weg
Von Bakhan Jamal, Projektkoordinatorin von ADWI, 24.11.2024

Der erste Spielbus von Wadi 2005 in einem Dorf in Germian, Bild: Wadi e. V,
2005 fuhr zum ersten Mal ein Wadi-Spielbus in entlegene Dörfer im Nordirak. Damals war die Idee Spielplätze- und -möglichkeiten an Orte zu bringen, an denen es so etwas nicht gab, noch völlig neuartig. Sie hat sich so bewährt, dass die Busse seit nunmehr zwanzig Jahren fahren und aus einem Bus vier geworden sind. Sie erfüllen dabei auch eine wichtige Rolle für Familien und lokale Gemeinschaften, deren Alltag oft nur wenig Raum für kindliche Bildung und Freizeitgestaltung lässt.
Das Spielbusprojekt wurde damals in der Region Germian unter der Leitung von Wadi ins Leben gerufen. Aufgrund des großen Erfolgs wurde es später auf die Regionen Ranya und Erbil ausgeweitet, wodurch noch mehr bedürftige Kinder erreicht werden konnten. Im Jahr 2019 wurde die Verantwortung für das Projekt an die lokale Organisation „Awareness and Development for Women and Children in Iraq“ (ADWI) übertragen. Diese Übergabe erfolgte im Rahmen einer langfristigen Strategie von Wadi, erfolgreiche Projekte auszugliedern und die Verantwortung an lokale Akteure zu übergeben. Inzwischen betreut Wadi’s Partner Jinda in Dohuk einen vierten Spielbus, der in den Flüchtlingslagern arbeitet, in denen Êzîd:innen leben, die 2014 vor dem Islamischen Staat geflohen sind.
Das Spielbus-Team besteht aus drei geschulten Mitarbeiter:innen, die mit einem Bus unterwegs sind, der mit zahlreichen Spielen und Spielzeugen beladen ist. Jeder Besuch gliedert sich in mehrere Phasen, die so gestaltet sind, dass sie Kinder verschiedener Altersgruppen und Interessen ansprechen, von 2 bis 16 Jahren. Nach der Ankunft in einem Dorf oder Stadtteil beginnt das Team mit energiegeladenen Bewegungsspielen, die den Kindern helfen, aktiv zu werden, Kontakte zu knüpfen und durch gemeinsames Toben sich zu öffnen und Verbindungen zu schaffen. Für viele Kinder ist dies eine seltene Gelegenheit, mit echten Spielsachen zu spielen, und ihre Begeisterung ist deutlich spürbar. Ein Kind sagte kürzlich: „Ich freue mich so darauf, mit einem richtigen Ball zu spielen und nicht mit Steinen oder einem kaputten Ball von meinen älteren Brüdern und Cousins.“
Nach dieser ersten aktiven Spielstunde versammelt das Team die Kinder zu ruhigeren, kreativen Aktivitäten wie Malen, Färben oder Perlenarbeiten. Bei diesen spielerischen Tätigkeiten haben die Kinder die Möglichkeit, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. Dies ist auch eine Gelegenheit für die Teammitglieder, mit den Kindern über wichtige Themen zu sprechen. Dabei kann es sich um aktuelle Ereignisse, Missstände vor Ort, Gesundheitsprobleme oder auch umwelt- und sozialpolitische Fragen handeln. Auch erfahren unsere Teams so, ob unter Umständen Kinder Misshandlungen oder Vernachlässigungen zu Hause ausgesetzt sind und können dann, wenn nötig, intervenieren. Die Sozialarbeiterinnen schaffen einen geschützten Raum, um solche relevanten Themen auf altersgerechte Weise anzusprechen und den Kindern zu helfen, die Welt um sie herum zu verstehen und zu verarbeiten. Anschließend wird der Aufenthalt mit einer weiteren sportlichen Aktivität abgeschlossen, um die Kinder gestärkt und frisch in den Tag zu entlassen.
Wir hören hin und wieder schöne Geschichten darüber, wie der Spielbus wirken konnte. Der Vater eines Kindes mit Autismus drückte seine Dankbarkeit so aus: „Ich habe ein autistisches Kind, das normalerweise nicht mit anderen Kindern spielt. Dank des Spielbus-Teams kommt er endlich aus dem Haus und spielt jetzt gerne draußen. Das hilft ihm, mit anderen in Kontakt zu kommen. Wir freuen uns sehr. Das haben wir dem Spielbus zu verdanken. Es wäre toll, wenn Ihr öfter kommen könntet, damit er noch mehr Fortschritte macht.“
Akzeptanz – der Schlüssel für jede erfolgreiche soziale Initiative
Das Spielbus-Team wählt die Spiele und Aktivitäten sorgfältig aus, um den Interessen und Bedürfnissen möglichst aller Kinder gerecht zu werden. Geschlecht, Alter und kulturelle Vorlieben werden dabei berücksichtigt. Dieser integrative Ansatz hat maßgeblich dazu beigetragen, dass das Programm in den Gemeinden so beliebt ist und großes Vertrauen genießt. Auch die Erwachsenen erkennen, dass der Spielbus den Kindern Spiel- und Lernmöglichkeiten bietet, die ihnen sonst möglicherweise nicht zugänglich wären. Dadurch erfährt das Projekt eine überwältigende Akzeptanz – der Schlüssel für jede erfolgreiche soziale Initiative.
Ein elfjähriges Mädchen aus einem Dorf erzählte einmal: „Wir sind Dorfleute. Wir haben noch nie etwas von Spielplätzen oder Vergnügungsparks gehört. Wir wissen nur, wie man sich um Tiere kümmert und die täglichen Aufgaben erledigt. Unsere Familie nimmt uns nirgendwohin mit, wo wir Spaß haben können.“ Kinder wie dieses Mädchen kennen es nicht, dass man sie nach ihren Wünschen oder Bedürfnissen fragt. Beim Spielbus ist das anders, hier wird auf sie eingegangen. Deshalb ist der Spielbus so etwas Besonderes für sie – hier können sie einfach nur Kind sein.
Das Spielbusprojekt bereitet den Kindern nicht nur Freude, sondern trägt auch zur Bildung bei und stärkt ihr Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen. Durch die Verbindung von Freizeitgestaltung mit kindgerechten Dialogen kann das Projekt niedrigschwellig Themen wie Gesundheit, soziales Wohlbefinden und Umweltbewusstsein ansprechen und bearbeiten. Der Spielbus bietet nicht nur einen Ort zum Spielen, sondern fördert auch eine Generation, die informiert, engagiert und ihrer Community positiv verbunden ist.
Die im Laufe der Zeit durch den Spielbus aufgebauten Kontakte und Netzwerke haben Wadi/ADWI dazu inspiriert, weiter gehende gemeinschaftsorientierte Initiativen zu starten, wie zum Beispiel die Kampagne „Nein zu Gewalt“. Die Mitarbeiterinnen der Spielbusse hörten von den Kindern immer wieder Berichte darüber, wie rüde und gewaltvoll Kinder von Lehrern oder anderen Autoritätspersonen behandelt werden. Zu diesem Programm passen auch die Initiativen gegen Genitalverstümmelung und zur Stärkung der reproduktiven Rechte von Frauen, Motto: „Der patriarchalen Kontrolle entkommen“. So nahm eine Kampagne ihren Anfang, die sich öffentlichkeitswirksam für einen positiven, respektvollen Umgang mit Kindern in Schulen und Familien einsetzt. Ein Kind fragte die Mitarbeiterinnen eines Spielbusses einmal: „Warum seid ihr Sozialarbeiterinnen so nett zu uns? Unsere Lehrer behandeln uns nicht so.“ Solche und ähnliche Reaktionen motivieren die Teams jeden Tag aufs Neue, in abgelegene Dörfer oder benachteiligte Stadtquartiere zu ziehen und dort neben freudigen Erlebnissen auch Mitgefühl, Verständnis und Würde zu fördern und vorzuleben.
Kampagne für Kinderrechte
Auf ähnliche Weise startete ADWI im Juni 2024 eine Kampagne für Kinderrechte. Diese Initiative entstand aus Gesprächen mit Kindern, die mit ihren Rechten nicht vertraut waren. „Wir hören von unseren Pflichten zu Hause, aber niemand spricht über unsere Rechte“, sagten viele Kinder. Daraufhin nahm ADWI die Aufklärung der Kinder über ihre Rechte in ihr laufendes Active Citizenship Program auf. Kinder in Irakisch-Kurdistan sollen ihre Rechte kennen und über Möglichkeiten, sich im Falle von Übergriffen und Grenzüberschreitungen zu schützen, Bescheid wissen.
Payam Ahmed, ADWI-Teammitglied und Rechtsanwältin aus Erbil, beschreibt die Wirkung des Projekts so: „Es wärmt mir immer wieder das Herz, zu sehen, wie diese Kinder, deren Leben wirklich nicht leicht ist, sich über die Spiele freuen, die wir ihnen bringen. Da spüre ich, wie heilig meine Arbeit ist! Alle Müdigkeit verfliegt, wenn ich sehe, wie die Kinder freudestrahlend auf unseren Spielbus zurennen und alles ausprobieren wollen. Die Dörfer sind oft weit entfernt und wir brauchen ein oder zwei Stunden, um sie zu erreichen, meist über holprige, staubige oder schlammige Straßen. Das erschwert unsere Arbeit. Aber diesen Kindern, die nur selten die Gelegenheit dazu haben, Spiel und Freude zu bringen, ist wichtiger als alle Mühen. Ein weiterer sinnvoller Aspekt unserer Arbeit besteht darin, die Kinder über ihre Rechte aufzuklären, selbst wenn es nur zehn Minuten sind. Als Juristin ist es mir ein besonderes Anliegen, dieses Wissen weiterzugeben, und ich sehe das auch als einen wichtigen Teil meiner Aufgabe an.“