„No-to-Violence“-Kampagne: Eine Erfolgsgeschichte

Als wir unsere „No-to-Violence“-Kampagne im Oktober 2017 begannen, waren wir optimistisch gestimmt. Die unglaublichen Erfolge, die seitdem erzielt wurden, überraschen uns dennoch positiv. In Zusammenarbeit mit Lehrern, Schülern und Eltern setzt sich die von Wadi-Irak geleitete Kampagne für das Ende aller Formen von Gewalt in Schulen ein. Diese Gruppen könnten unnötige Konflikte vermeiden, wenn sie nur über die entsprechenden Kommunikationsfähigkeiten verfügen würden. Bis jetzt haben sich 13 Schulen aus Erbil, Duhok, Ranya und Garmyan dazu entschieden, an der Kampagne teilzunehmen.

 

Essayan Camp 2 School – Teachers, Students and Wadi-Iraq Team under the new banner declaring the school ‘Violence Free’

Bei den an der Kampagne teilnehmenden Schulen ist das Ausmaß an Gewalt erheblich zurückgegangen – die positiven Gesamteffekte sind bemerkenswert, als Beispiel seien hier nur die deutlich verbesserten Resultate bei den Abschlussprüfungen genannt.
Besonders beeindruckend ist dies, wenn beachtet wird, dass sich die entsprechenden Schulen in Camps von ezidischen Binnenflüchtlingen befinden. Das Thema der Gewalt war nach den Erlebnissen in der Gefangenschaft des Islamischen Staates im Jahr 2014 und des anschließenden, bis heute andauernden Aufenthalts in den Camps eine besondere Herausforderung.

Wadi-Irak arbeitet seit 2014 mit der ezidischen Community zusammen und bietet dabei psychologische Hilfe für Frauen und Mädchen an, die aus der Gefangenschaft des Islamischen Staates zurückkehrten. Im Oktober 2018 besuchten die beiden Mitarbeiterinnen von Wadi-Irak, Sara Hassan und Basma Haji zwei Camp-Schulen. Sie arbeiteten mit Schülern, Lehrern und Eltern daran, Gewalttaten zu thematisieren und Konflikte gewaltfrei zu lösen. Im Juni 2019, knapp ein Jahr nach der Kampagne, interviewten wir unser Team und die Essyan Camp 2 Schule über Veränderungen und Herausforderungen in diesem Jahr. Das folgende Interview bemüht sich verschiedene Perspektiven, Erfahrungen, Erfolge und Schwierigkeiten nach einem Jahr der „No-to-Violence“-Kampagne hervorzuheben. Sie können den der Kampagne zudem auf Facebook folgen.

Interview mit den Wadi-Irak Mitarbeiterinnen Sara Hassan und Basma Haji:

Eure Arbeit unterscheidet sich sehr stark von derjenigen anderer Menschen. Was denkt Eure Community über Gewalt?

Sara: Wir denken, dass es Gewalt in allen Gesellschaften gibt, dazu gehört selbstverständlich auch die ezidische Gesellschaft. Die Formen von Gewalt lassen sich dabei anhand des individuellen und familiären Bildungshintergrunds unterscheiden. Nach den Ereignissen von 2014 denke ich aber, dass sich meine Gesellschaft allgemein gegen Gewalt positioniert, nach dem was uns passiert ist.

Denkst du, dass der Genozid den Umgang mit Gewalt in deiner Community beeinflusst hat?

Basma: Ich denke, das Phänomen ISIS beeinflusste alles inklusive der Gewalt. Der Effekt ließ sich stärker bei armen Familien als bei gebildeteren und wohlhabenderen Familien beobachten. Heute sind fast fünf Jahre vergangen, wir sehen, dass viele Menschen die „No-to-Violence“-Kampagne unterstützen, das sind erfreuliche Veränderungen.

Was hat sich verändert? Hat sich das Ausmaß an Gewalt verringert oder gesteigert?

Sara: Zu Beginn betrug die Gewaltrate bis zu 60%, jedoch beobachteten wir einen starken Rückgang in kooperierenden Schulen, insofern sie zur kurdischen Regionalregierung gehören. Ebenso ist zu hören, dass die Gewaltrate in Schulen für Binnenvertriebene im Regierungsbezirk Nineveh weiter sehr hoch ist. Es ist sogar von sexuellen Übergriffen die Rede.

Worauf sollte man sich nach deinen Erfahrungen bei den Schülerinnen und Schülern am stärksten fokussieren?

Sara: Ich denke, dass der Fokus auf der Förderung ihrer Ausdrucksfähigkeit durch geeignetes Anschauungsmaterial und künstlerischen Aktivitäten wie Zeichnen und Musizieren liegen sollte. Wichtig ist auch die Organisation von Picknicks und Ausflügen, welche die Kinder zumindest für kurze Zeit von den Bedingungen in den Camps ablenkt.

Was sollte die internationale Gemeinschaft deiner Ansicht nach über die allgemeinen Konditionen und die Erfahrungen mit Gewalt in den Camps wissen?

Sara: Ich denke, die internationale Gemeinschaft sollte die vorherrschende Gewalt von Eltern gegenüber ihren Kindern in den Camps registrieren. Ein weiteres Thema sind dort die gemischten Toiletten, in welchen es zu Belästigungen kommt.

Welche Vorschläge hast du für das Bildungsministerium?

Sara: Für das Bildungsministerium ist es sehr wichtig, Sozialarbeiter, Psychologen und insbesondere Lehrerinnen an die Schulen zu entsenden. Wir bemerkten, dass die Anzahl der Lehrerinnen sehr niedrig ist. Es ist notwendig, sich darauf zu fokussieren und dies zu ändern. Zudem hoffen wir, dass die Schulen mit Computern ausgestattet werden.

Team Member Sarah Hassan with students from Essayan Camp 2 School

Interview mit der Essayn Camp 2 Schule

Am 27. Juni 2019 setzte sich Sara Hassan (Wadi-Irak) mit dem Vizedirektor der Essayn Camp 2 Schule, Khilu Rafe Dihar, zusammen, um über Herausforderungen und Erfolge der „No-to-Violence“-Kampagne in seiner Schule seit ihrem Beginn im Oktober 2018 zu sprechen.

Vor welchen Herausforderungen stehen Sie in diesem Jahr?

KRD: Dieses Jahr hatten wir große Probleme mit dem Lehrermangel. Es ist sehr schwierig, spezialisierte Lehrer zu finden. Früher gab es circa 1700 Lehrer – wenn ich mich nicht irre, verbleiben heute nur noch etwa 600 von ihnen. Viele verließen das Land, viele sind mittlerweile in anderen Gebieten ansässig. Dies betrifft natürlich die Lehr- und Lernqualität. Eine weitere große Herausforderung ist der Mangel an Lernmaterialien.

Team Member Sara Hassan interviewing the VP of Essayan Camp 2 School

Was hat sich in Ihrer Schule seit dem letzten Jahr geändert?

KRD: In diesem Jahr hatten wir häufig Besuche von Wadi und dank ihnen bemerken wir eine Abnahme der Gewalt sowie eine gleichzeitige Zunahme der bestandenen Prüfungen mit einer Quote von 70%. Das Thema der Gewalt betraf uns dabei schon zuvor, weil sich Erfahrungen mit Gewalt generationsübergreifend niederschlagen. Wir hoffen uns mit Lehrern von anderen Schulen zusammensetzen und mit ihnen unsere Erfahrungen teilen zu können, damit sie vielleicht unserem Beispiel folgen.

Wir möchten folgende Erklärung teilen:

Unsere Schule ist dank Wadi-Irak gewaltfrei. Gewalt schadet Einzelnen oder Gruppen von Menschen physisch, mental und sexuell, einhergehend mit der Unterdrückung der Meinungsfreiheit. Die ersten Betroffenen sind dabei Frauen und Kinder. Schulen kommt eine bedeutende Rolle dabei zu, Kinder vor Gewalt zu schützen. Jedoch werden regelmäßig in Bildungsinstitutionen wie Schulen körperliche Bestrafungen verhängt, die die betroffenen Kinder physisch, mental und in ihrem Sozialverhalten prägen. Obwohl weltweit die Androhung und Anwendung von Gewalt in 102 Ländern verboten ist, gibt es viele, in denen diese Gesetze zur Sicherstellung eines sicheren Lernumfelds nicht angewendet werden. Viele Kinder werden wegen ihres sozialen Hintergrunds oder ihrer physischen und mentalen Fähigkeiten diskriminiert.

Seit dem Auftauchen von ISIS ist die Ausmaß der Gewalt im Irak angestiegen. Dies betrifft vor allem Gewalt in Schulen, die durch das fehlende Wissen des Lehrpersonals über die Relevanz von Menschenrechten begünstigt wird. Deshalb benötigt das Lehrpersonal entsprechende Schulungen. Die strenge Behandlung oder die Bestrafung, Erniedrigung und Beschimpfung vor Mitschülern müssen als wichtige Gründe für späteres gewalttätiges Verhalten der Schüler angeführt werden. Diese Erfahrung erzeugt einen tiefen Hass auf die Lehrer, den Respektverlust vor einem Erwachsenen, der als Vorbild handeln sollte.

Vor dem Genozid am 3. August 2014 gab es in Shingal deutlich weniger Gewalt als heute. Im Schuljahr 2018/19 besuchte uns regelmäßig das Wadi-Team und leitete die Lehrer und Schüler an, auf Gewalt zu verzichten. Im Anschluss daran versuchten wir die gewonnenen Erkenntnisse für die Evaluierung des gesamten Schulalltags zu nutzen. Im Vergleich zu den Vorjahren realisierten wir, dass sich die erlernten Methoden viel besser dazu eignen, obgleich sich die nachhaltige Veränderung von eingeschliffenen Verhaltensweisen stets als langwieriger Prozess erweist.

Jetzt ist die Situation ganz anders: Lehrer und Schüler sind mittlerweile vielmehr Freunde, wir lachen und diskutieren zusammen in den Pausen. Dies alles hatte positive Auswirkungen auf die Anzahl der Schüler, die ihre Prüfungen bestehen konnten. Die Quote beträgt mittlerweile 70%, was im Vergleich zu den Vorjahren eine deutliche Verbesserung darstellt. Nun gehören wir zu den acht gewaltfreien Schulen und hoffen, dass weitere Schulen unserem Beispiel folgen und auf jedwede Gewalt gegen Schüler verzichten. Wir sind bereit, denjenigen zu helfen, die von unseren Erfahrungen im Rahmen der „No-to-Violence“-Kampagne profitieren möchten.

Für Wadi-Irak hoffen wir, dass bald spezifische Schulungen für Lehrer angeboten werden können, die diese darin bestärken, alle Ausformungen von Gewalt zu bekämpfen. Wir als Lehrer müssen mit dem Bildungsministerium kooperieren, weil dieses seit 2014 viele Lehrer verloren hat. Heute verbleiben lediglich 600 der ursprünglich zu Zeiten von ISIS beschäftigten 1700 Lehrer. Viele wurden entführt und getötet, manche verließen das Land oder ließen sich in anderen Gebieten nieder. Der größte Verlierer dieser Entwicklung sind dabei die Schüler.

Zuletzt hoffen wir, die Essayn Camp School 2, Anschauungs- und Lernmaterialien zu erhalten, um unsere Schüler weiter fördern zu können und damit trotz aller Schwierigkeiten ein Vorbild für andere zu sein.

Die Leitung der Essayn Camp School 2 (1. Juli 2019)“

 

Dieses Projekt wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert.