Interview: Schweigen führt zum Fortbestand der Praxis Weiblicher Genitalverstümmelung

Ein Interview von Sahiyo über die Stop-FGM Kampagne von Wadi 

Von Megan Seaver, Sayiho Blog, 03.01.2024
bakhan

Bakhan Jamal, Bild Wadi

Bakhan ist eine Aktivistin und engagiert sich gegen Weibliche Genitalverstümmelung/Female Genital Mutilation (FGM/FGC) und setzt sich leidenschaftlich für die Aufklärung junger Mädchen zu diesem Thema ein. Bakhan arbeitet auch als Projektbetreuerin für Wadi, eine Organisation, die Selbsthilfeprogramme im Nahen Osten fördert, z.B. mittels Beobachtung von und Lobbyarbeit für Bürgerrechte, Rehabilitationsprojekte für Langzeitgefangene, Alphabetisierungsprogramme, Bildung und Ausbildung für Frauen, Sensibilisierung der Öffentlichkeit für häusliche Gewalt und deren Beendigung, sowie eben Kampagnen gegen FGM. Bakhan arbeitet insbesondere an den Programmen der Organisation zum Schutz von Mädchen vor FGM mit.

Ich hatte die Ehre, Bakhan zu ihrer Arbeit befragen zu können und zu erfahren, was sie dazu bewogen hat, sich für die Beendigung von FGM zu engagieren.

Bakhan: Ich habe das Thema Genitalverstümmelung erst sehr spät in meinem Leben kennengelernt, als ich das College abgeschlossen hatte und auf der Suche nach einem Job war. Ich suchte also eine Stelle als Englisch-Übersetzerin und stieß auf diese deutsche Organisation namens Wadi, die sich mit FGM beschäftigte. Ich erinnere mich an die erste Woche, in der ich [bei Wadi] anfing und von FGM hörte und dachte, dass ich noch nie davon gehört hatte, dass es in meiner eigenen Gemeinschaft passiert. Es war wirklich schockierend für mich, so etwas zu hören.“

Ich fing an, darüber nachzudenken, ob ich Freunde oder Familienmitglieder hatte, die genitalverstummelt waren, ohne dass ich es wusste. Ich begann, Menschen in meiner Familie und andere Menschen, die ich kannte, zu fragen, ob sie dies bei ihnen praktiziert wurde. Und ich erfuhr, dass viele Menschen in meinem Leben, in meiner Familie und in meinem Freundeskreis einer FGM unterzogen wurden.

Ich erfuhr, dass zwei meiner Cousinen verstümmelt worden waren. Ich erinnere mich, dass ich sehr jung war und wir im Haus unserer Großmutter waren und zwei meiner Cousinen irgendwohin gingen und zurückkamen und ich sie in ein anderes Zimmer gehen sah und sie kichern hörte und ich dachte, ich wäre eine Ausgestoßene. Ich wurde aus irgendeinem Grund von ihnen getrennt.

Ich habe meine Mutter gefragt, was mit meinen Cousins passiert ist und wieso mir das nicht passiert ist. Sie sagte, dein Vater habe das nicht zugelassen, er habe gesagt, dass niemand meinen Mädchen etwas antun würde.

Ich hatte Glück, dass ich jemanden in meinem Leben und meine Familie hatte, der mich beschützt hat, aber gleichzeitig fühlte ich mich sehr schlecht für meine Cousinen.

 Die Erste in der Familie

Bakhan war die erste in ihrer Familie, die der Praxis nicht unterzogen wurde. Stattdessen wurde sie Zeugin, wie ihre Mutter über ihre eigenen Erfahrungen mit FGM sprach.

Bakhan: Sie sagte: ‚Ich bin auch verstümmelt‘, und ich fragte sie: ‚Wie fühlst du dich?‘ Sie sagte: ‚Ich denke nicht darüber nach, weil es so üblich ist.‘

Das Wissen um die Geschichte ihrer Familie mit dieser Praxis inspirierte Bakhan, sich um so mehr zu engagieren.

Bakhan: Je mehr ich mich [für die Abschaffung von FGM] einsetzte, desto mehr wurde mir bewusst, wie wenig die Gesellschaft über diese Praxis weiß und wie gefährlich sie sein kann. Ich arbeite jetzt seit sechs Jahren mit Wadi zusammen und ich glaube immer noch, dass es nie einen Punkt geben wird, an dem ich nicht von den Geschichten schockiert bin, die ich von Überlebenden höre. Wir machen auch Besuche vor Ort und gehen in die Dörfer, in denen FGC noch praktiziert wird, denn in dieser Gesellschaft, vor allem in den Städten, ist es nicht so verbreitet [darüber zu reden].

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Aufklärungsseminar gegen FGM in einem kurdischen Dorf, Bild: Wadi

Als ich Bakhan nach den Auswirkungen dieser Besuche fragte, erzählte sie mir, wie tief diese Praxis als soziale Normen in der Gesellschaft verwurzelt sein kann.

Bakhan: Wenn ich mich mit den Leuten unterhalte, glauben sie immer noch fest an diese Praxis, sind stolz darauf und planen, ihre Töchter zu verstümmeln.

Meine letzte Erfahrung mit einem Feldbesuch war vor einem Monat. Wir fuhren in eine ländliche Gegend und hielten unsere normalen Seminare ab. Dort war eine sehr junge Frau, ungefähr so alt wie ich, und sie hatte eine Tochter, und wir sprachen über FGM. Am Ende fragte ich sie: „Glaubst du immer noch an FGM?“, weil ich davon ausging, dass sie nach dem Gespräch, das wir geführt hatten, nicht daran glauben würde. Aber sie war so fest davon überzeugt, dass FGM gut ist und durchgeführt werden sollte.

 Wenn man aufhört, daran zu arbeiten, taucht die Praxis wieder auf. Wir versuchen immer, nach ein paar Monaten oder einem Jahr an diese Orte zurückzukehren. Wir gehen zurück, um herauszufinden, ob sie es wieder tun oder nicht. Und manchmal gehen wir wieder dorthin, und sie sagen, dass sie mit FGM aufgehört haben, weil eine Organisation kam und sie wussten, dass wir es waren.

Ich möchte, dass die Menschen mehr hinterfragen.

[Diese Gespräche mit den Dorfbewohnern] sind in der Regel nicht sofort einladend, weil es sich um ein sensibles Thema handelt. Deshalb achten wir immer darauf, dass wir nicht mit FGM beginnen, wenn wir kommen. Wir versuchen, über etwas zu sprechen, das damit zusammenhängt, wie andere Gesundheitsfragen.

Bakhan wies auch darauf hin, wie wichtig es ist, führende Persönlichkeiten der Gemeinschaft, insbesondere Männer, in die Arbeit gegen FGM einzubeziehen, da sie in diesen Gesellschaften über mehr Einfluss verfügen.

Bakhan: Wir vergessen die männliche Position in diesem Bereich. In unserer Gemeinschaft wissen die Männer meistens nichts über FGM. Wenn ein Opfer von FGM mit einem Mann verheiratet wird und der Mann mit einem Trauma zu kämpfen hat, das er nicht versteht, führt das zu Problemen in der Ehe. Wir müssen also das Gespräch mit den Männern suchen.

Mit Blick auf die Zukunft hielt ich es für wichtig, Bakhan zu fragen, welchen Rat sie ihrem jüngeren Ich und anderen Mädchen geben würde. Sie sagte:

Ich möchte, dass die Menschen mehr hinterfragen. Ich habe nie gefragt, warum das alles passiert. Es ist gut, neugierig zu sein. Ich denke, das ist eines der Dinge, die junge Menschen immer fragen sollten, warum etwas passiert, und ich denke, das ist ein Ratschlag für mich selbst, nicht mit dem Strom zu schwimmen, sondern Fragen zu stellen. Wisse, worauf du dich einlässt.

Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit gegen FGM mit Ihrer Spende.

Das Interview erschien auf Englisch und wurde von Mercedes Nabert übersetzt.